"Gravierende Sicherheitsmängel": Gabriel kritisiert Emsland-AKW
Mitarbeiter des Bundesumweltministers erklären, dass das Atomkraftwerk Vorschriften nicht entspreche. Kurz vor Abtritt ihres Chefs setzen die Beamten eine Frist zur Nachrüstung der Anlage.
BERLIN taz | Noch-Bundesumweltminister Sigmar Gabriel zwingt keinen Energiekonzern mehr zum Abschalten von Atomkraftwerken, eine Hypothek hinterlässt der SPD-Politiker den Firmen aber doch: Am Montagabend hat sein Ministerium etwa an die niedersächsische Atomaufsichtsbehörde einen Brief geschickt. Gabriels Mitarbeiter beanstanden darin trotz Widerspruchs von Niedersachsen gravierende Sicherheitsmängel im RWE-Atomkraftwerk Emsland. In dem Schreiben, das der taz vorliegt, heißt es: "Ihr Vorgehen widerspricht der Strahlenschutzverordnung." Nun setzte das Ministerium eine Frist, das AKW bis 31. Dezember 2009 nachzurüsten.
Theoretisch hätten die Bundesbeamten auch eine Stilllegung anordnen können. Der Schwachpunkt im AKW: das Kühlsystem. Ein Leck könnte zum GAU, der Kernschmelze, führen: Schießt Wasserdampf unter hohem Druck etwa aus einem defekten Ventil, können Fasern aus dem Dichtungsmaterial mit herausgerissen werden. Diese können die Kühlpumpen verstopfen oder direkt die Kühlwasserzufuhr des Kerns gefährden.
Das Kühlsystem ist nicht nur ein Problem im Atomkraftwerk Emsland, sondern auch in sieben anderen Druckwasserreaktoren, darunter neueren Kraftwerken wie Grohnde oder Brokdorf. Darauf haben die Reaktorsicherheitsexperten in Gabriels Ressort die Atomaufsichtsbehörden der Länder bereits im Frühjahr hingewiesen. Hessen hatte darum das Wiederanfahren des Atomkraftwerks Biblis B gestoppt. Der Betreiber RWE versprach, die Pumpen zu verbessern. Die Lösung ist nicht einfach, der Reaktor ist bis heute nicht wieder am Netz.
Die anderen Aufseher reagierten mit einsilbigen Antworten, sodass ihnen der Bund erneut schrieb: Wenn sie nicht bis Anfang Oktober nachweisen, dass ein Kühlmittelleck sicher zu beherrschen ist, drohe eine "bundesaufsichtliche Weisung". Bis Freitag haben sich alle Länder außer Baden-Württemberg fristgemäß geäußert. Die Bayern erklärten, "intensive" Gespräche mit den Betreibern führen zu wollen. Die Antworten werden nach und nach von den Ministerialbeamten geprüft, sollen aber dem Schreiben aus Niedersachsen ähneln: "Im Kernkraftwerk Emsland sind anlagenspezifische Verhältnisse zu berücksichtigen" - es gebe keine Gefahr. Den Bund überzeugt das nicht.
Kurz bevor ein neuer Minister kommt, wollten die Bundesbeamten aber kein AKW schließen. "Das wäre schlechter politischer Stil", erklärt ein Ministerialer und verweist darauf, dass die neuen Koalitionäre über eine Laufzeitverlängerung verhandeln. Wer Chef im Umweltressort werde, müsse sich aber sofort daran messen lassen, ob er Sicherheit ernst nimmt.
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