Grandmaster Flash über gutaussehende Tracks: "iPods machen mich nervös"
Grandmaster Flash hat als DJ einst Hiphop miterfunden. Im Gespräch erzählt der Mann aus der Bronx über Gemeinsinn, Drogen und digitales Arbeiten.
Joseph Saddler, 51, wurde als Grandmaster Flash eine der legendären Figuren des Hiphop. Geboren auf Barbados, aufgewachsen in der New Yorker Bronx, entwickelte der DJ in den späten Siebzigerjahren maßgeblich die modernen Techniken des Plattenauflegens wie Cutting, Mixing und Scratching. Seine Innovationen am DJ-Pult prägen bis heute Hiphop, die strukturell einflussreichste Popkulturtechnik der vergangenen Jahrzehnte. Als Grandmaster Flash & the Furious Five wurden er und seine fünf Rapper die ersten globalen Stars des Hiphop. Als die Formation 1982 Mit "The Message" ihren größten Hit landete, war der damals drogenabhängige Flash von Plattenfirma und Rapper Melle Mel bereits aus seiner eigenen Gruppe ausgebootet worden. Als DJ aber legt er das Stück trotzdem "bis heute bei jedem Set auf, denn das ist ein Hit und ein DJ muss die Hits spielen". Nach Jahrzehnten voller gerichtlicher Auseinandersetzungen erscheint nun "The Bridge" (Adrenaline Entertainment / Strut / !K7 / Alive), Flashs erstes Studioalbum seit 1988. Darauf geben sich, dem pophistorischen Stellenwert des Gastgebers angemessen, die prominenten Namen die Klinke in die Hand: Aber neben Busta Rhymes, Snoop Dogg, Q-Tip, KRS One oder Big Daddy Kane finden sich auch unbekannte Rapper aus Ländern wie Japan, Schweden, Spanien oder dem Senegal. Während des Interviews trinkt Flash ohne Unterlass grünen Tee und spricht ein wenig verschwommen, als würde der Zahnersatz nicht ganz fest sitzen. TO
taz: Herr Flash, setzen Sie sich immer noch in ihr Auto, um zu testen, wie neue Tracks auf dem Auto-CD-Player klingen?
Grandmaster Flash: Klar. Man verbringt so viel Zeit im Auto. Da muss man doch wissen, ob der Mix dort gut klingt. Aber natürlich habe ich auch ein Frequenzmessgerät im Studio: Auf dem kann ich ziemlich genau ablesen, ob ein Track klingt, wie er klingen soll. Ich muss einen Track heutzutage nicht mehr unbedingt hören, ich kann ihn sehen.
Wie sahen die Tracks ihres neuen Albums "The Bridge" aus?
Gut sahen die aus. Was denken Sie denn?
Passiert es manchmal, dass ein Track als Frequenzspektrum prima aussieht, aber leider beschissen klingt?
Nein, so was passiert nicht. Was beschissen aussieht, das klingt auch beschissen.
"The Bridge" ist Ihr erstes Album mit eigenen Tracks seit 1988?
Wenn Sies sagen. Das dürfte hinkommen, ja.
Warum haben Sie so lange gebraucht?
Weil ich nicht den richtigen Plattendeal gefunden habe. Ich hatte immer wieder Angebote, aber ich wollte kein Album machen, das so klingt wie das, was gerade im Radio läuft. Da klingt doch alles gleich. Aber wenn ich auflege, dann spiele ich ein Funk-Break, danach vielleicht ein Pop-Break und dann ein Jazz-, Techno-, Disco- oder Rock-Break. Denn das alles ist Hiphop für mich. Und diese Vielfalt wollte ich auch auf meiner Platte, denn ich bin in erster Linie ein DJ. Deshalb klingen meine Songs, als wären zehn verschiedene Leute für die Musik verantwortlich gewesen. Und so sieht es auch in meinem Plattenkoffer aus, wenn ich auflege. Meine Herangehensweise ist, auch als Produzent, immer die eines DJs gewesen und wird es immer sein. Ich frage mich: Kann ein DJ diesen Track auflegen? Wie wirken die Tracks hintereinander auf dem Album? Könnte man es auf einer Party durchlaufen lassen? Ist der Mix abwechslungsreich genug?
Das, was wir heute als die Kunst des DJings kennen, das Mixen und Cutten von verschiedenen Songs, haben Sie vor drei Jahrzehnten miterfunden. Lag das damals in der Luft? Wenn Sie nicht da gewesen wären …
… wäre dann jemand anders auf den Dreh gekommen?
Ja.
Vielleicht. Wir werden alle mit verschiedenen Talenten geboren. Manche sollen Pfarrer werden, andere Automechaniker, wieder andere Programmierer. Mir wurde nun mal das DJen und das Produzieren mitgegeben. Ich mache einfach das, wofür ich geboren wurde. Es gab dafür keinen Plan, es ist einfach so passiert. Ich wollte auch nicht berühmt werden. Ich habe einfach die Musik geliebt.
Hätten Sie damals gedacht, dass Hiphop einmal so groß werden würde, dass diese Kultur den ganzen Erdball erobern würde?
Natürlich nicht, niemand konnte das wissen. Aber retrospektiv würde ich sagen: Es wundert mich nicht. Wir haben schon damals gespürt, als das alles noch auf die Bronx beschränkt war, dass wir da etwas Großartiges entdeckt hatten. Etwas, das von so vielen und so vielen verschiedenen Menschen geliebt wurde, das musste einfach groß werden. Schwarze, Weiße, Latinos: Jeder, der einen DJ dabei sah, wie er sein Ding machte, und der einen MC rappen hörte oder einen Graffitikünstler beim Sprühen sah, der war sofort süchtig.
Sie haben damals Geschichte geschrieben.
Ja, auch wenn ich das damals noch nicht wusste. Aber ich will etwas hinterlassen - wie jeder andere Mensch auch. Reich und berühmt zu sein, das ist ganz in Ordnung. Aber ich will Teil der Geschichte sein. Später, auch noch in Jahrzehnten, sollen die Leute einmal sagen: Ja, Grandmaster Flash, der hatte es drauf. Das ist mir wichtig.
Grandmaster Flash & the Furious Five sind doch längst Geschichte: Sie sind 2007 in die Rockn Roll Hall of Fame aufgenommen worden.
In der Hall of Fame zu sein, das ist ganz nett. Aber wichtiger ist mir, den ganz normalen Typen in Erinnerung zu bleiben als jemand, der den Menschen gedient hat. Denn das ist meine Aufgabe als DJ, die Menschen zum Tanzen bringen, sie zu unterhalten. Ich diene, das ist meine Aufgabe.
Im vergangenen Jahr haben Sie Ihre Autobiografie "The Adventures of Grandmaster Flash" herausgebracht. Warum so spät?
Noch vor fünf Jahren war ich nicht so weit, ich hatte zu viele Leichen im Keller. Aber jetzt stelle ich fest, dass ich dieses Buch machen musste, um die ganze Wut rauszulassen und meine Verletzungen zu überwinden. Nach dem Buch war ich plötzlich wie befreit. Und ich war bereit, diese Platte zu machen oder einen Computerspiel-Soundtrack zu machen oder eben wieder auf Tour zu gehen. "Die Abenteuer von Grandmaster Flash" sind nicht mehr meine Geschichte, sondern Hiphop-Historie.
Welche Verletzungen meinen Sie?
Vor allem all die Geschichten, wo ich übers Ohr gehauen wurde. Es gibt eine Menge Songs, die ich produziert habe, auf denen aber nicht mein Name steht und für die ich nie einen Cent bekommen habe. Viele Jahre lang hatte ich Angst, wieder verarscht zu werden, und habe deshalb lieber gar nicht produziert. Mittlerweile habe ich diese Angst, auch dank des Buches, überwunden.
Als Sie das DJing erfunden haben, waren die MCs und ihre Raps eher schmückendes Beiwerk. Mittlerweile sind die Rapper die Stars. Gilt denn noch "Flashs Universal DJ Rule Number Two: DJs Got The Power"?
Natürlich hat es da offensichtlich eine Machtverschiebung gegeben. Aber ein DJ hat immer noch großen Einfluss. Die Plattenfirmen schicken immer noch uns zuerst ihre Platten, weil wir sie auflegen müssen, damit sie bekannt werden. Ein Hit wird immer noch zuerst im Club gemacht oder im Radio: Und wer entscheidet, was dort läuft? Ein DJ.
Die Kunst des DJings, die sie entscheidend mitbegründet haben, hat sich allerdings in den letzten Jahren grundlegend verwandelt. Wie haben Sie reagiert als sie zum ersten Mal einen DJ ohne Plattenkoffer trafen?
Ich war perplex. Das war vor drei oder vier Jahren. Ich hatte gerade meinen Soundcheck hinter mir, als der nächste DJ dran kam. Ich fragte ihn: Sohn, wo sind Deine Schallplatten? Er sagte: Grandmaster, meine Platten stecken in meinem Laptop, in dieser kleinen Kiste. Ich dachte, der hält mich für blöde. Also hab ich ihn noch mal gefragt. Aber er blieb dabei, baute seinen Laptop auf und zeigte mir seine Dateien. Das sind MP3s, sagte er. Das hat mich zwar an meinen Sohn erinnert, der schon seit Monaten rumjammerte, ich solle ihm einen MP3-Player kaufen. Aber ich kam mir vor wie ein Zurückgelassener. Ein blödes Gefühl, als wäre man ein Auslaufmodell.
Wie konnte das passieren? Sie galten immer als Technik-Freak, der selbst an seinen Plattenspielern herumschraubte.
Ich glaube, der Walkman ist schuld. Erinnern Sie sich noch? Ich habe die Dinger gehasst, weil sie die Menschen isolierten. Plötzlich brachte Musik die Leute nicht mehr zusammen, sondern trennte sie. Seitdem habe ich alle Geräte ignoriert, mit denen man sich die Ohren zustöpselt. Seit einem Jahr hab ich zwar jetzt auch einen iPod, aber ich benutze den nicht draußen. Macht mich nervös, wenn ich nicht mitkriege, was um mich herum abgeht.
Mittlerweile haben Sie aufgeholt und benutzen selbst einen Laptop und ein digitales DJ-System.
Ja, ich mache sogar Werbung dafür. Aber ich benutze zusätzlich auch immer noch mein Vinyl. Allerdings schleppe ich nicht mehr meine ganze Sammlung mit mir rum.
Stirbt die Kunst des DJings aus, wenn die Tracks aus dem Laptop kommen?
Warum? Ich mixe ja weiter live wie früher, nur dass die Plattenspieler nun nicht mehr direkt das Vinyl abtasten, sondern eine Datei auf der Festplatte ansteuern. Das ist wie beim Autofahren: Wenn ich meinen alten Ford nicht fahren kann, dann kann ich auch mit einem BMW nicht umgehen.
In Ihrem Buch sprechen Sie sehr offen über ihre Drogenabhängigkeit. Was auffällt: Offensichtlich werden auch im Hiphop viele Drogen konsumiert und Rapper preisen in ihren Reimen zwar den Beruf des Dealers, aber Drogenerfahrungen werden in Rap-Texten - im Gegensatz zum Rock zum Beispiel - so gut wie nie verarbeitet. Warum?
Das ist mir noch gar nicht aufgefallen. Aber es stimmt: Im Hiphop geht es immer um das Geschäft mit Drogen, aber nicht um den Konsum. Warum das so ist? Vielleicht weil der Dealer ein Held war im Ghetto. Der hatte das schicke Auto, der hatte was zu sagen. Aber das ist eine gute Frage. Ich werde mal rumfragen, wenn ich wieder zu Hause bin.
Was haben die Drogen Ihnen angetan?
Ich habe sechs Kinder und vier davon sind bereits erwachsen. Ich war nicht dabei, als sie aufwuchsen. Das bereue ich wirklich. Schuld daran waren die Drogen und dass ich ständig auf Tour war. Ich habe teilweise an 250 Tagen im Jahr aufgelegt. Wegen meiner beiden kleinen Söhne, die acht und neun Jahre alt sind, gehe ich heute nicht mehr so viel auf Tour, obwohl ich es liebe.
Wie ist Ihr Verhältnis zu Drogen heute?
Ich habe keines mehr und das bleibt hoffentlich auch so. Die Drogen hätten mich beinahe das Leben gekostet und das nicht nur einmal, sondern zweimal.
Stattdessen lieber grüner Tee?
Ich liebe das Zeug. Ich muss heute mindestens zehn verdammte Tassen getrunken haben.
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