: Grandiose Familienreminiszenzen
Nach diversen Desastern mit alten Formationen und einer neuen Plattenfirma rappeln sich die Continental Drifters aus New Orleans wieder auf ■ Von Jörg Feyer
Kaum hebt mal wieder das Wehklagen an über die Unfähigkeit und Ignoranz der amerikanischen Plattenindustrie, fällt auch schon ihr Name: Ach ja, die Continental Drifters! Tolle Band! Beschäftigen gleich drei distinguierte Songwriterinnen und Lead-Stimmen, beherrschen mühelos sämtliche Zwischentöne im weiten Feld von Pop, Soul, Country, Rock und Folk. Und müssen auch ihr zweites Album, Vermilion, wieder bei einem deutschen Klein-Label veröffentlichen. Die spinnen, die Amis! Und importieren lieber, statt das Beste aus dem eigenen Hinterhof zu ernten.
Verwunderlich ist das indes nicht. Für die „No Depression“-Schublade, das letzte, weiße Underground-Format, das die großen US-Firmen hellhörig werden ließ, ist das in New Orleans ansässige Sextett schlicht zu vielseitig. Auch haben wir es nicht mit 18jährigen Himmelsstürmern mit einer Menge Rosinen im Kopf zu tun, die darauf brennen, zusammengepfercht in einem kleinen Van über Monate Meile um Meile auf amerikanischen Highways abzureißen, um auch noch 15 Zahlende im letzten Kaff von Kansas zu beglücken.
Hier haben vielmehr gestandene Musiker bar jeglicher Illusion zusammengefunden, die ihre kleinen und größeren Band-Desaster alle schon hinter sich haben. Ein Peter Holsapple, der anläßlich des letzten Anlaufs seiner dB's (The Sound Of Music aus dem Jahr 1987) verbittert kundtat, eine Firma, die dermaßen blind über Singles bestimme, hätte „die Bänder auch gleich in den nächstbesten Fluß werfen können“.
Eine Susan Cowsill, die das Showgeschäft seit Kindesbeinen mit der Family-Band The Cowsills kennen- und durchschauenlernen durfte. Ein Mark Walton, der mit The Dream Syndicate zusehen mußte, wie R.E.M. den Tanz ums Goldene Kalb gewann. Eine Vicki Peterson, die den Bangles zwar auch „ein paar gute Erinnerungen“ verdankt, für die sie „dankbar“ sei. Aber eben auch viele ungute, die glatt undankbar machen könnten.
Die Klasse des Materials auf Vermilion, etwa Peter Holsapple's grandiose Familienreminiszenz Daddy Just Wants It To Rain konnte letztlich selbst das wiederum knappe Studio-Budget verkraften. Die Plattenfirma Mercury hatte zwar ein Demoband finanziert, dann aber doch „Njet“ gesagt. „Verwirrend“ fand Vickie Peterson den Flirt mit einer Industrie, in der Menschen, die sich für die Band verwenden wollen, regelmäßig in die Bredouille von Umstrukturierungen auf höherer Ebene geraten.
Was in diesem Fall vielleicht sogar seine gute Seite hat. Denn wer weiß, wo Vermilion nach dem jüngsten Verkauf von Polygram (Mercury gehört zum Konzern) an den Spirituosen-Spezi Seagram gelandet wäre. Oder besser: wo nicht.
Jörg Feyer So, 5. Juli, 21 Uhr, Knust
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