: Granaten auf UNO-Hauptquartier
■ Nach der Reduzierung des UNO-Oberkommandos in Sarajevo kommt es in ganz Bosnien zu neuen schweren Kämpfen/ Generalsekretär Ghali sieht Friedensmission der UNO auf dem Balkan in Gefahr
Sarajevo (afp/dpa) — „Tragisch, gefährlich, gewalttätig und verworren“, mit diesen Worten faßte UNO- Generalsekretär Butros Ghali am Mittwoch seine Eindrücke der Situation in Bosnien-Herzegowina zusammen. Eindrücke, die bereits am nächsten Tag im vollen Umfang bestätigt wurden: Am Donnerstag wurden nicht nur aus nahezu allen umkämpften Dörfern und Städten der Republik Gefechte gemeldet, beschossen wurde auch die Altstadt Sarajevos. Von fünf Granaten getroffen wurde dabei das Rainbow-Hotel, in dem das Hauptquartier der UNO- Schutztruppen für Jugoslawien untergebracht ist. Unter Artilleriebeschuß der jugoslawischen Bundesarmee lagen aber auch die ostkroatischen Städte Osijek und Karlovac, in dieser Region sollen Freitag morgen Einheiten der UNO-Friedenstruppen die Kontrolle übernehmen.
Im Zentrum der Kämpfe in Sarajevo stand Ilidza, ein Stadtteil, der zwar überwiegend von Moslems bewohnt wird, den die Serben jedoch als eine ihrer „Hochburgen“ betrachten. Wie sehr dabei die bosnische Territorialverteidigung in Bedrängnis kam, wurde aus einem dringenden Appell ihres Kommandanten deutlich. Er forderte die Bevölkerung der angegriffenen Viertel auf, seinen Männern auch „ohne Waffen“ zur Hilfe zu kommen oder sich selbst Molotowcocktails herzustellen. Beobachter führten das Aufflammen der Kämpfe vor allem auf den Abzug der EG-Beobachter, die angekündigte Reduzierung der Kommandantur der UN-Friedenstruppen für Kroatien und die Annullierung eines geplanten Treffens zwischen dem bosnischen Staatschef Alija Izetbegovic und dem neuen Armeechef Zivota Pancic zurück.
Den Abzug von 200 der 300 in Sarajevo stationierten UN-Soldaten hatte Generalsekretär Ghali mit der augenblicklichen Situation in Bosnien begründet. Aus dem gleichen Grund sei hier zur Zeit auch keine Stationierung von Friedenstruppen möglich.
In einem mit Spannung erwarteten Bericht an den Weltsicherheitsrat bezeichnete Ghali die Bemühungen um eine friedliche Regelung in Jugoslawien als die „am wenigsten erfolgreiche Aktion der UNO“ seit seiner Amtsübernahme vor knapp einem halben Jahr. Wegen Grenzstreitigkeiten zwischen Serben und Kroaten seien die Erfolgschancen der Operation in Kroatien fraglich. So würden einige Serbengebiete in Kroatien außerhalb der ausgehandelten UNO- Schutzzonen liegen.
Vertreter Serbiens hätten angekündigt, daß die serbische Bevölkerung mit Gewalt eine erneute kroatische Herrschaft in diesen Gebieten verhindern werde. Gleichzeitig weigert sich Kroatien nach Angaben Ghalis vehement, die UNO-Schutzzonen auf weitere Serbengebiete in Kroatien auszudehnen. Zugleich ließ Ghali jedoch nicht unerwähnt, daß das größte Problem für weitere Einsätze der Friedenstruppen die finanzielle Lage der UNO sei. Allein in den vergangenen drei Jahren hätte sie insgesamt dreizehn Friedensmissionen — ebensoviel wie in vierzig Jahren UNO-Geschichte zuvor — unternommen. Vor weiteren Einsätzen müsse daher nun zunächst die Europäische Gemeinschaft ihre Vermittlungsbemühungen intensivieren.
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