Grafitti: "Das ist wie eine Sucht"
Als Zwölfjähriger sprühte Gabriel H. sein erstes Graffito und als 23-Jähriger zieht er immer noch mit der Sprühdose durch Hamburgs Straßen. Sein Ziel: Ein Kunstwerk für die Ewigkeit. Einmal ging das gründlich schief.
Als Gabriel an einer vollgeschriebenen Wand im Schanzenviertel vorbeigeht, kann er es nicht lassen. Routiniert setzt er sein Tag darauf. "Das ist wie eine Sucht", sagt der 23-Jährige, der heute nur noch legale Wände "verschönert", wie er sagt. Fast nur. Einen Edding hat er jedenfalls immer dabei - auch noch nach dem Vorfall in Hasselbrook.
Als Zwölfjähriger sprühte Gabriel sein erstes Graffito an eine Häuserwand. Mit fünfzehn gründete er mit Freunden die "NE-Crew", die auch heute noch fast jede Woche loszieht. Bevor sie auf die Straße gehen, sitzen sie zusammen, diskutieren über gemachte und geplante Werke, hören Hip-Hop, rauchen Gras und malen neue Skizzen in ihre Blackbooks. Meistens treffen sie sich mittwochs. Am Wochenende seien zu viele Menschen unterwegs. "Richtig große Dinger machst du auch nicht nachts, richtig große Dinger machst du eine halbe Stunde, bevor die erste Bahn fährt", sagt Gabriel und lässt offen, wie lange das letzte "richtig große Ding" her ist. Mit einem Bein steht ein Sprayer eben immer in der Illegalität - auch einer mit guten Vorsätzen.
Zur "NE-Crew" gehören wie in der Szene üblich nur Jungs, zu Gabriels Bedauern, denn er findet sprühende Frauen "furchtbar sexy". Doch irgendwie passe Graffiti, sein Revier zu markieren, nicht mit dem weiblichen Habitus zusammen. "Vandalismus ist nun mal männlich", befindet der Crew-Gründer. Da zeige sich die enge Verflechtung zum Hip-Hop, "wenn du auf ein Hip-Hop-Konzert gehst, dann siehst du ja auch kaum Frauen im Publikum, geschweige denn auf der Bühne." Die "NE-Crew" sprüht seit mittlerweile elf Jahren, die Hamburger Graffiti-Community ist wesentlich älter: Besonders der Kultfilm "Wild Style", der 1984 in die Kinos kam, transportierte die amerikanische Graffitikultur in deutsche Großstädte, wo Mitte der 80er Jahre die grauen Wände rar wurden. Seitdem hat sich eine feste Community in Hamburg etabliert. Die aktuellen Stars der Szene heißen "COS" (Colours on Steel), "AH" (Altona Homies) oder "187 Straßenbande". Die 187 ist inzwischen zur allgegenwärtigen Hausnummer einer jeden Straße im Hamburger Schanzenviertel geworden.
Ein kleines Graffiti-Lexikon:
Biten: Kopieren oder Nachahmen eines fremden Styles.
Blackbook: Skizzenbuch der Graffiti-Sprüher.
Bomben: Illegal großformatige Bilder sprühen.
Crossen: Graffiti eines anderen übermahlen.
Tag: Pseudonym eines Malers in Form einer individuell entwickelten Kalligrafie.
Toy: Anfänger oder schlechter Sprayer.
Spot: geeignete Orte für Graffiti
Wholecar: Bezeichnet einen komplett mit Graffiti bemalten Zugwagon.
Writing: Gestalten von künsterlischen Graffiti.
Yard: Gelände, auf dem Züge abgestellt werden.
Vor fünf Jahren traf Gabriel sich an einem dieser Mittwoche früh morgens mit seiner Crew an der S-Bahn Station Hasselbrook, um einen auf dem Abstellgleis geparkten Zugwaggon zu besprühen. Ein vollgesprühter Zugwaggon wird in der Graffitiszene als "Wholecar" bezeichnet und verschafft den Machern Respekt und Anerkennung unter Gleichgesinnten. "Natürlich dienen die Bilder Selbstdarstellung", sagt Gabriel. Graffiti sei vor allem Werbung in eigener Sache. "Ich fühl mich dann einfach cool, wenn ich meinen Schriftzug in den Straßen sehe", sagt er. "Alle Kollegen sehen das und ich weiß, dass ich zu Hause bin."
Es war ihr erstes "Wholecar". Sie hatten sich gut drauf vorbereitet, seit Stunden die Umgebung observiert, die Sprühdosen von Fingerabdrücken gereinigt und die Dosenböden mit Magneten präpariert, um trotz der Metallkugel im Inneren möglichst geräuschfrei arbeiten zu können.
Dass ihre Malfläche das Eigentum anderer ist und jemand für die Reinigung aufkommen muss, ist dabei nebensächlich. "Wenn ich ein Bild male, dann denke ich keine Sekunde an denjenigen, der es entfernen muss", sagt Gabriel. Zwar finde er qualitativ schlechte Graffiti an privaten Hauswänden nicht gut, doch wenn die Wand an einem schönen Ort stehe, dann dürfe man sich über Graffiti nicht wundern. "Dann hätten sie eben nicht an die Bahn ziehen müssen."
Um ein Kunstwerk für die Ewigkeit zu schaffen, was laut Gabriel der Traum eines jeden Sprayers sei, wird vereinzelt sogar Bremsflüssigkeit in die Farben gegeben, damit sie sich dauerhaft in den Untergrund fressen.
2009 erfasste die Polizei über 6.000 Fälle von Sachbeschädigung durch Graffiti. Damit verbunden sind Reinigungskosten in Millionenhöhe, für die meist der Eigentümer des Malgrunds beziehungsweise dessen Versicherung aufkommen muss. Allein in Hamburg beziffert sich der verursachte Schaden aus der Dose auf eineinhalb Millionen Euro pro Jahr allein an den U-Bahnen, zwei Millionen Euro an Bussen und über 20 Millionen Euro an Bahnanlagen - Zahlen, die jedoch nur auf Schätzungen beruhen. Bei Strafverfahren gegen Graffitimaler werden oft Altschäden mit eingerechnet und die Schadenssummen von Hausbesitzern und Unternehmen mit Kulanz behandelt, da die Reinigung von der Versicherung bezahlt wird.
Weniger als eine halbe Stunde dauerte es, bis Gabriel und seine Crew ihren ersten Bahnwaggon komplett mit Graffiti eingefärbt hatten. "Wer länger braucht ist ein Anfänger", sagt er. Beim illegalen Sprühen, dem "Streetbombing", gehe es um die richtige Kombination aus Masse und Klasse - entweder große einfache "Styles" und "Characters", also Buchstaben und figürliche Darstellungen, oder detailreiche Bilder auf geringerer Fläche. 20 bis 40 Euro kosten die Farben für ein durchschnittliches Wandgraffiti, je nach Aufwand und Größe - für Gabriel und seine Crew wurde es in Hasselbrook bedeutend teurer.
Nachdem sie ihr Werk vollbracht hatten und schon auf den Fahrrädern saßen, wurden sie von Polizisten zu Boden gerissen, die mit Hunden auf die Sprayer gewartet hatten. Bei der SoKo Graffiti werden Gabriel dutzende Fotografien seiner Bilder aus dem Hamburger Stadtgebiet vorgezeigt - er hat dort bereits seit einigen Jahren eine Akte. Eine von über 5.000, die von den Sonderermittlern der "SoKo Graffiti" akribisch geordnet und mit Bildern der jeweiligen Graffitimaler aufgefüllt werden. 2.500 Euro Schadensersatz musste jeder der drei Jugendlichen an die Hamburger Hochbahn bezahlen.
Ein seltener Erfolg für die Ermittler. Selbst der eigens gegründeten und spezialisierten SoKo Graffiti geht nur jeder fünfte Sprayer ins Netz. Und etablierte Graffiti-Künstler lassen sich auch durch hohe Geldstrafen nicht von der Straße holen.
Gabriel geht es seit dem Vorfall in Hasselbrook eher um die künstlerische Qualität seiner Bilder als um seinen Bekanntheitsgrad in der Stadt. "Für aufwändige Bilder brauchst du viel Zeit", sagt er - und die habe man eben nur auf legalen Flächen. Hamburgs Innenstadt zumindest wird auf absehbare Zeit bunt bleiben. Viertel wie St. Pauli und Altona wären ohne die bunten Bilder kaum wiederzuerkennen. Ob Graffiti das Stadtbild nun verzieren oder beschmieren, liegt in den Händen der Künstler und in den Augen der Betrachter.
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