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„Grabsche den Saumagen!“

Fernsehdeutschland unter der geschenkten Trockenhaube: Beim Birnen-Bingo rätselt sich zusammen, was zusammengeraten ist  ■ Von Neil Spence

Meine beste Freundin Gudrun kann ich das nicht fragen, sie ist viel zu betroffen. Erstens hat die Öko-Reinigung ihre Latzhose völlig versaut, und zweitens geht ihre 16jährige Tochter mit einem CDUler aus. Wen könnte ich noch fragen? Herr Kaiser geht auch nicht, er ist in den befreiten Gebieten und beschubst Zonis; Onkel Dittmeyer, den sprechenden Toilettendeckel, geht auch nicht — alle sind irgendwie busy. Ich komme einfach nicht dahinter, was mit den Deutschen plötzlich los ist. Was ist aus den selbstkritischen, Zusammenhänge erkennenden Deutschen geworden, die ich so schätzte?

Gibt es sie noch, oder ist es endgültig vorbei mit dem nachdenklichen Deutschland, in dem die politischen Skandale noch halbwegs thematisiert werden konnten? Vermutlich macht sich jetzt nach zehn Jahren pfälzischem Birnen-Bingo so eine Art Desaster-Fatigue breit. Nichts mehr kann schockieren oder wütend machen, und nicht mal die obszönsten Auswüchse der CDU-Politik können viel Aufsehen erregen. Während die deutsche Linke nach der 89er Narkose langsam aufwacht und sich fragt, wer bin ich, haben andere Gruppierungen im Lande schon längst den neuen Zeitgeist, den Eduscho-Klassizismus erkannt und für sich gepachtet.

Herzlichen Glückwunsch, Frau Schrubbke, Sie haben ein Wochenende in Hoyerswerda mit dem Skinhead Ihrer Wahl gewonnen! So könnte es bald von unzähligen Schrankwänden widerhallen, denn das zwangsvereinigte Volk im Herzen des neuen pflegeleichten Europa hat die neue Wunderdroge entdeckt. Ja, von der Waterkant bis nach Knödelgermanien sind Quizsendungen von seltener Niveaulosigkeit täglich angesagt. Auf 26 Kanälen buhlen Kfz-Mechaniker und Frisörinnen um polyesterbezogene Couchgarnituren und krebserzeugende Mikrowellenherde. Deutschland, die letzte Hoffnung der Wheel-Of-Fortune- Hasser, verfällt dem Fifties-Wahn der geschenkten Trockenhauben.

Warum ausgerechnet jetzt, frage ich mich, will das deutsche Fernsehen seinem Volk neue Wertvorstellungen und Tugenden beibringen? Im Glanze der Privatisierung und des neugeborenen Frühkapitalismus kommen sich die Deutschen aus Ost und West ein Stück näher. Jetzt rätselt zusammen, was zusammengeraten ist, und alle lernen, sich an den kleinen Dingen des Lebens zu erfreuen — Duschhauben und ähnliches. Sogar die Quizfragen haben kaum etwas mit Allgemeinbildung zu tun, sondern beziehen sich oft auf fehlende Worte in Werbe-Slogans. Wenn Herr Klawuttke weiß, welche Farbe die schönsten Pausen sind, hat er schon ein Bein auf der Hollywoodschaukel. Vielleicht stellen diese Sendungen einen Ersatz für die fehlende soziale Gerechtigkeit dar. Wenn schon von Tante Birgit abgewickelt und das Gehalt nur noch zum Mülltonnen-Sharing ausreicht, dann tritt man/frau die Flucht nach vorne an und geht aufs Ganze. Natürlich darf ein wenig protestantische Arbeitsethik dabei nicht fehlen, wer den Hauptpreis — zwei Wochen an der Costa del Prollie — gewinnen will, muß ordentlich büffeln und über mehrere Wochen den Sieg davontragen. Es wird einem nichts geschenkt. Es ist eben wie im echten Leben.

Die Amerikanisierung Deutschlands ist schnell vorangekommen im letzten Jahr. Aber irgendwie klappt das hiesige Sponsoring nicht so richtig. Es wäre doch begrüßenswert, wenn diese Quizsendungen — von bekannten Showmastern moderiert — sich gleichzeitig um die vom Staat vernachlässigte Kultur kümmern würden! So könnte Hannelore Kohl als Showmistress in Grabsche den Saumagen! auftreten und zugleich einen literarischen Abend mit Lesungen aus dem Otto-Katalog veranstalten.

Oder damit aktuelle Probleme nicht ganz und gar aus dem Blickwinkel verschwinden, könnte man/frau sie im Rahmen solcher Sendungen berücksichtigen. Wer würde sich nicht freuen, Günther Krause als Moderator in Der Motor ist heiß zu sehen? So würde Deutschland nicht Gefahr laufen, in die Oberflächlichkeit abzurutschen, und die politische Streitkultur würde am Leben erhalten werden. Die Idee läßt sich x-beliebig fortsetzen — Irmgard Schwaetzer würde zum Beispiel entzückend wirken als Moderatorin beim Obdachlosen-Bingo, Umweltminister Töpfer könnte die Sendung Gefährdete Tiere und wie man sie essen kann präsentieren, und Volker Rühe als Oberdirigent im Asylantenstadl würde doch glatt der Lindenstraße den Rang ablaufen. Mut zur Ehrlichkeit ist jetzt gefragt. Schließlich sind in Europa auch die Grenzen des guten Geschmacks gefallen. Wenn schon die Politik nur noch showtimemäßig präsentiert werden soll, dann wollen wir Kohl („Ich nehme Deutschland“) als Kandidaten im Teutonentanga bei Tutti-Frutti sehen.

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