: Grabhügel des Ressentiments
PHILOSOPHEN Judentum, Hermeneutik und Kritische Theorie – der Briefwechsel zwischen Hans Blumenberg und Jacob Taubes hat es in sich
VON MICHA BRUMLIK
Just zu einem Zeitpunkt, an dem jene, die alte Bundesrepublik intellektuell prägende „Suhrkampkultur“ in Trümmern zu liegen scheint, kommen gleichsam archäologisch wirkende Archivalien aus ihren Anfängen und Hochzeiten zum Vorschein.
Nicht zuletzt bestand die Suhrkampkultur aus den Schriften meist jüdischer vertriebener und nach Deutschland zurückgekehrter Gelehrter und Intellektueller, die in einer einzigartigen Weise Marxismus, Psychoanalyse und soziologische Kulturkritik zu dem formten, was später unter den Namen „Kritische Theorie“ oder „Frankfurter Schule“ in die Annalen der Geistesgeschichte eingehen sollte. Indes: Die 60er und 70er Jahre waren in der Bundesrepublik auch durch eine andere philosophische Schule geprägt, die – gemeinhin als „Hermeneutik“ bezeichnet – Herkunft, Wandel und Bedeutung jener Konzepte in Kunst und Wissenschaft untersuchte, die menschliches Leben nicht nur in der Gegenwart prägten.
Irrlichternder Taubes
Ein wesentlicher Vertreter dieses Programms war der scheue Hans Blumenberg (1920–1996), während sein Briefpartner Jacob Taubes (1923–1987) in irrlichternder und oft verwirrender Weise die Öffentlichkeit suchte – nicht zuletzt in den Tagen der Berliner Studentenbewegung, als er an der Freien Universität Berlin lehrte. Was beide – ihrem Temperament nach so gegensätzliche Charaktere – einte, war ihr Judentum beziehungsweise das, was sie mit dem Judentum zu tun hatten oder zu tun haben mussten.
Hans Blumenberg durfte als katholisch getaufter, in der menschenfeindlichen Sprache der Nürnberger Gesetze sogenannter „Halbjude“ in der NS-Zeit nicht richtig studieren, während Jacob Taubes, Sohn eines in die Schweiz übergesiedelten Wiener Rabbiners, sich in den USA und Deutschland einen Namen als Erbe, ja wahrer Repräsentant der Kritischen Theorie zu machen suchte. Ihr Briefwechsel zeugt von den alltäglichen Sorgen, aber auch den versteckten Aggressionen von um Geltung und Aufmerksamkeit bemühten Philosophen in ihren vierziger und fünfziger Lebensjahren, vom Kampf um Positionen, Publikations- und Aufstiegschancen. Vom Leben des Geistes zeugen dieser in dem von Herbert Kopp-Oberstebrink und Martin Treml sorgfältig kommentierten und edierten Band weniger. Vielmehr darf die Leserschaft bei der Lektüre jene Position einnehmen, die Hegel einmal als „Kammerdienerblick“ bezeichnet hat.
Als mehr oder minder ausgesprochenes, oft unterdrücktes, dann wieder jäh aufbrechendes Motiv kann das Leiden der beiden Philosophen an Deutschland, deutscher Sprache und deutscher Philosophie gelten. Im Januar des Jahres 1971 etwa debattiert Blumenberg das Problem „herzlicher Grüße“ am Ende eines Briefs, in dem es um irgendwelche Verlagsintrigen bei Suhrkamp ging: „Wie herzlich“, so Blumenberg an Taubes, „möchte jemand gegrüßt werden, der sich gerade noch an der ‚Sonderbehandlung‘ des Verlegers gegen den Absender beteiligt hat?“
Ausgeklügelt hinterhältig
Hier ist unbedingt einzuflechten, dass „Sonderbehandlung“ der Tarnbegriff der Nationalsozialisten für die Ermordung der europäischen Juden war. Blumenberg ist dies voll und ganz bewusst, wenn er fortfährt: „Verzeihen Sie, dass ich das härteste Wort wähle, das mir aus meiner Biographie geläufig ist, aber ‚Unfairness‘ wäre wohl eine sportliche Verharmlosung der ausgeklügelten Hinterhältigkeit, von der wir beide nichts ahnten …“
Überhaupt wird der Briefwechsel immer wieder von der Frage umgetrieben, wie man sich zu jenen Geistesgrößen zu verhalten habe, die dem Nationalsozialismus botmäßig waren, etwa Carl Schmitt.
Empört teilt etwa Blumenberg dem ihn in dieser Hinsicht geistesverwandten Taubes bezüglich Carl Schmitts, der nicht nur die Nürnberger Gesetze feierte, mit: „Nur wer aus falschen Positionen das Falsche gesagt hat, soll der Aussätzige bleiben, und man schmückt sich damit, ihn zu verachten.“ So groß die Zuneigung zu Schmitt und Heidegger, so groß das Ressentiment gegen Adorno und den Freund Walter Benjamins, den Kabbalaforscher Gershom Scholem.
In rückhaltloser Offenheit teilt Taubes, der den Kontakt zu Carl Schmitt gesucht hatte, im Juni 1977 Blumenberg mit: „Susan Taubes (Taubes’ Gattin, die sich umgebracht hatte, M.B.) hat mich wenn ich unausstehlich wurde ‚Scholem‘ genannt. Es war ihr tiefstes Trauma. Aber lassen wir das. An Carl Schmitt eine Postkarte […] geschrieben. […] Auch jetzt noch ist Juda für ihn irgendwie Gegen-Instanz.“
Der Briefwechsel Taubes/Blumenberg, der eine Jahre währende „Vergegnung“ (Martin Buber) der beiden Philosophen bezeugt, gleicht weniger einer Flaschenpost denn einem Grabhügel, dessen Überbleibsel erst dann wirklich zu verstehen sind, so der historische Kontext der Fragmente bekannt ist.
■ Hans Blumenberg/Jacob Taubes: „Briefwechsel 1961–1981“. Herausgegeben von Herbert Kopp-Oberstebrink und Martin Treml. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013, 349 Seiten, 39,95 Euro