piwik no script img

Grabesarchitektur

Unter der Totenmaske des Rock 'n' Roll: Pavements neues Album „Wowee Zowee“  ■ Von Thomas Groß

Wer sich einfach nur das Gegenteil von einem Rockstar denkt, hat noch lange keine Vorstellung von Steven J. Malkmus. Man muß schon die grünen Cordhosen hinzufügen, das Schlabber-T-Shirt über dem Rollkragenpullover, die Goldrandbrille, die ganze superschmächtige Art, in der er seine Antworten herausquengelt, um eine Idee von der offensiven Unscheinbarkeit dieses Mannes zu bekommen. „Erm, Pavement, ein schwieriges Kapitel, sollen wir wirklich darüber reden?“ sagt er allen Ernstes, und meint damit Pavement, das große Ding des letzten Jahres, seine eigene Band – die auf geilste Weise ungeile, mittelstill vor sich hinglimmernde, absolut aufregendste Ansammlung von Durchschnittslangweilern, die der Rock 'n' Roll je hervorgebracht hat.

Mit Ideen hat der Erfolg dieses Modells allerdings eine Menge zu tun: der Idee, daß schüchterne, bebrillte Menschen auch den Rocker im Herzen haben können – wenngleich auf sehr vermittelte Weise; der Idee, daß die Rettung des Rock 'n' Roll aus den Peripherien der Peripherie kommen muß, aus Käffern wie Stockton, Kalifornien oder dem Brooklyner Sub-Suburb Williamsburgh, wo drei Fünftel der Band mittlerweile leben; mit der Idee, daß der „wahre Rocksong“ die Gestalt eines Knechts angenommen hat, eher das aus einem Gitarren-Pling-Pling oder einem Stimmenaufschlag herausgeschüttelte kleine Gefühl ist als ein Powerakkord von Pearl Jam (oder sogar – Gott hab sie selig – Nirvana); vor allem aber mit der Idee, daß diese subtile Erscheinung sich wie aus dem Nichts kommend am verdüsterten Himmel der Rock- Zukunft abzeichnen sollte: als Epiphanie der Stunde. So, und nur so, kam es, daß „Crooked Rain, Crooked Rain“, Pavements zweites Album, in so mancher Herren Länder als extrem erlösende Sache gefeiert wurde – das Rockwunder von Williamsburgh.

Skizzenbuch des Rock 'n' Roll

Mit Wundern ist es natürlich so eine Sache: Man kann sie nicht leicht wiederholen. Keiner weiß das besser als Malkmus, der von der Plattenfirma offenbar mit vorgehaltener Pistole gezwungen wurde, das neue Album „Wowee Zowee“ zu promoten: „Weißt du, diese ganzen Dinge, die über Pavement geschrieben worden sind – mich langweilt das nur noch. Es behindert dich. Einfach war es nicht, aber wir haben versucht, das neue Album so spontan wie nur irgend möglich hinzukriegen, ich meine, sicher sind wir irgendwie eine intellektuelle Band, waren auf dem College und so, aber man muß sich vor einem Zuviel an Analyse auch schützen. Ach, ich weiß auch nicht, so ist es halt.“

Bei diesen Worten sinkt Malkmus vor gut kultivierter Müdigkeit ganz tief in den Sessel. Tatsächlich ist „Wowee Zowee“ beim ersten Hören mehr noch als sein Vorgänger eine Art Skizzenbuch des Rock 'n' Roll: Die Songs fangen unvermittelt an, fallen, trotz „schöner“ Melodien, fast auseinander auf der Strecke, die sie zurückzulegen haben, und enden abrupt – als lebten sie zu 90 Prozent von der Vermeidung, dem Versuch, den Klischees und Fixierungen des klassischen Rocksongs zu entkommen. „Klar, da ist was dran, plane Rockscheiße ist bekanntlich nicht unser Ding. Aber gleichzeitig sind unsere Stücke doch auch auskomponiert, man könnte sie ohne weiteres in Notenschrift darstellen. Sie haben schon auch was Klassisches – was sicher damit zu tun hat, daß wir unsere Vorbilder kennen und pflegen. Ich könnte dir zu jedem Song eine geheime Referenz angeben ...“

Da ist sie wieder, die Idee von Pavement als einem uneigentlichen Klassiker, der sekundären oder gar tertiären Geburt des Rocksongs aus dem Geiste der Plattensammlung. Wer die Vorstellung von Unmittelbarkeit und Originalität erst einmal aufgegeben hat, besagt sie, der kann auch wieder souverän zitieren, dem steht die Rockgeschichte wie ein einziger großer Schrottplatz offen. Und wirklich scheint Malkmus immer dann am wachsten zu sein, wenn die Rede auf anderer Leute Stücke kommt. Daß „Flux Road“, der Opener, viel von einem Violent-Femmes-Song hat, kränkt ihn nicht, er sieht es als interessante Beobachtung. Ebenso freundlich nimmt er zur Kenntnis, daß das swingende, von der Musik her heiter-coole „Grave Architecture“ mich ziemlich stark an Lou Reeds „Walk On The Wild Side“ erinnert. „Wirklich? Stimmt eigentlich, sogar das erste Wort der Strophe heißt ,Walk'. Aber so arbeiten wir eben, auch wenn man es nicht immer merkt.“

Versuch über die Müdigkeit

Das scheint wiederum nahtlos zur Idee zu passen, Pavement seien die dandyistische Antwort auf „Grunge“, genauer: der seit mindestens zwei Jahren nach „authentischem“ Siebziger-Jahre-Achselschweiß stinkende Rockheroismus á la Eddie Vedder (Pearl Jam) und Dave Pirner (Soul Asylum) hätte im Gegenzug selbst wieder eine kleine Postmoderne heraufbeschworen. Und doch wollen Pavement-Songs unterm Strich wieder mehr sein als bloße Negation der Negation: „Mir liegt viel daran, daß in unseren Songs manche Brocken einfach so liegenbleiben, unbearbeitet, auch wenn sie da gar nicht hinzugehören scheinen. In solchen Momenten will ich dann doch wieder über Rationalität, Geschmack, über die ganze verdammte Plattensammlung hinaus, und deswegen sind Pavement- Songs auch nicht einfach Imagination, etwas Ausgedachtes, sondern es schwingt in ihnen etwas von dem gesamten Hintergrund mit, aus dem wir kommen. Es hat sich ja auch so viel verändert seit den Achtzigern. Die Specials sangen damals: ,Enjoy yourself, it's later than you think‘, bei uns wird: ,I can't enjoy myself, you can't enjoy yourself‘ draus. Das sind die Neunziger, und daran kannst du mal sehen, wie fucked up ich wirklich bin.“

Hier muß ich fast lachen, so unvermutet ernst kommt dieses Beharren auf der Blues-Erfahrung des weißen Mittelstandskids daher, aber ohne dieses Erbe an wahrer Empfindung, diesen Tagesrest größerer Zeiten im Traum vom idealen Rocksong, würde Rock selbst auf der von Pavement praktizierten Schwundstufe nicht funktionieren. „Grave Architecture“: Pavement sind auf der Suche nach dem Moment, in dem der durch und durch historische Song sich noch einmal seines sekundären Charakters entkleidet, aus der Verfallsgeschichte herausspringt und auf die Gegenwart paßt.

Weil das allerdings Schwerstarbeit ist, erreichen sie diese Qualität am ehesten da, wo alles wie unabsichtlich geschieht, wo sie den Kampf scheinbar aufgegeben haben und sich ganz der inneren Müdigkeit des Materials hingeben. Schon auf „Crooked Rain, Crooked Rain“ begann der Song „Fillmore Jive“ mit dem schlaffen Bekenntnis „Ich will schlafen, warum laßt ihr mich nicht schlafen“ – als könnte der Rocksong sich vor lauter angesammelter Geschichtlichkeit nicht mehr auf den Beinen halten. Auch auf „Wowee Zowee“ ist die Grundstimmung ein faules, leicht somnambules Müdigkeitsgefühl. „Motion Suggests Itself“, heißt ein Song, und wirklich wandeln diese Stücke Schritt für Schritt auf einem Grat, den sie selbst erst errichten. Noch eindeutige Punkstücke wie „Serpentine Pad“ klingen, als hätte Malkmus gegen einen geheimen Widerstand ansingen müssen, als sei alles genau so laut, aggressiv und „eigentlich“ gemeint, wie es sich anhört, nur ganz anders – ein bißchen wie in den Träumen, in denen man rennt und rennt, aber nicht von der Stelle kommt.

„Yeah ... it has that feel“, pflichtet Malkmus zögernd bei, wohl wissend, daß das eigentlich eine ganz schön verrückte Angelegenheit ist, denkt man das Pavement- Modell einmal auf die gesamte Entwicklung des Rock hin, seine mehr als 40jährige Geschichte, die nach einer kurzen, vitalen Phase in den Fünfzigern und Sechzigern vor anhaltenden Demystifizierungen und genauso hartnäckigen Versuchen, auf artifiziellem Wege wieder zu einer Naivität (oder wenigstens einer Praxis) zu kommen, nur so wimmelt. Und so wie der gesamte Rock 'n' Roll sich heute, im Zeitalter von MTV, als ungeheure Ansammlung hoch differenzierungsfähiger, praktisch vielseitig anschließbarer, aber traumlos gewordener sozialer Energie denken läßt, ein abgestorbenes Bruttosozialprodukt vergangener Revolten, so platzen auch die Songs von Pavement vor Geschichte fast aus ihren Nähten – ohne daß sie sich wirklich aus der Hülle befreien könnten.

Wer das zu hören versteht, vielleicht sogar mit einem gewissen perversen Genuß das langanhaltende Endspiel des Rock 'n' Roll zu verfolgen entschlossen ist, findet in „Wowee Zowee“ einen würdigen Nachfolger für „Crooked Rain, Crooked Rain“. Wem das zuviel Ideen sind, der kriegt statt ödem Corporate Rock immerhin noch eine Art Musik zur Zeit. „There is no castration fear“, singt Steven J. Malkmus, es klingt aber wie: Give boredom a chance, let the bad times roll.“

Pavement: „Wowee Zowee“ (Big Cat/Rough Trade)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen