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Grabbeigabe Radieschen

■ Nach der klassischen Fassung stellt das Antigone Theater nun eine aktualisierte Fassung des Antigonemythos vor

Was sind die blödesten männlichen Vornamen des letzten Jahrtausends? Detlef, Gunnar, vielleicht Otto, oder Ernst... Die dritte Produktion des „Antigone Theaters“ im Kontorhaus dreht sich jedenfalls um einen Schriftsteller, der aufgrund seines Selbstmordes leider nicht auf der Bühne erscheinen kann – und er heißt Ernst, Ernst Schwaneberg. Auch die weiteren Namen – Peter, Otto, Melanie, Maike – signalisieren, dass Sophokles' Antigone-Stoff konsequent in die profanschniekschnöselige Gegenwart transformiert wird. Aber halt! Peter, Otto usw. sind die Namen der Schauspieler des Stücks. Und im Laufe von 80 Minuten wird aus einem Theaterstück über Beerdigungsrituale ein Beerdigungsritual, das sich der (natürlich fiktive) Autor Schwaneberg für seinen eigenen Leichenschmaus ausgedacht hat; und dieses Ritual tarnt sich als Antigone-Adaptation, um fremde Gäste anzulocken: uns!

Ein bestechender Einfall: Schließlich gibt es gewisse Berührungspunkte zwischen einem Theaterstück und einem Grab. Beides verleiht dem Autor/Toten eine gewisse Unsterblichkeit. Warum Schwaneberg ausgerechnet uns Fremdlinge auf seiner Beerdigung wünscht, erfahren wir erst am Ende: Weil es in Bremen keine Geier gibt, die – frei nach Jean Genet – seine Leiche fressen und „über das Land scheißen“ könnten. Also müssen wir fressen, scheißen, nein das nicht, sondern ihn in unseren Herzen bewahren.

Welche Szenenfolge hat sich also Ernst Schwaneberg für seine Trauerfeier vom Antigone Theater gewünscht? Erst demonstriert ein Schauspieler, stellvertretend für Schwaneberg, ein distanziert-ironisches und neugieriges Verhältnis gegenüber seinem eigenen Tode. Dann spricht er selbst vom Band und lässt seine ehemalige Freundin von seiner Kunst schwärmen ... Aber halt, ein zweites Mal halt. Denn so kann man die Geschichte nicht erzählen. Denn der Zuschauer weiß ja zunächst nichts von Schwanebergs heimlichen Absichten. Erst ganz zum Schluss wird das Spiel mit den verschiedenen Realitätsebenen so weit getrieben, bis es sich – spielerisch natürlich – als Ernst, als echte Trauerfeier, ausgibt.

Sie, lieber Leser, haben noch immer nicht verstanden, wie hier der Antigone-Mythos um- und wieder zurückgestülpt wurde? Macht nichts, ist auch kompliziert. Jedenfalls wird aus den diversen Schichten und Ablagerungen durchaus Zeitgemäßes zutage gefördert. Schließlich geht es in Sophokles' Antigone um die Entscheidung zwischen staatlich verordnetem und göttlichem Recht, um Kreons Verbot den Feind zu bestatten und Antigones Verstoß dagegen. Schwester Ismene nimmt eine ambivalente Haltung ein: „Überflüssiges zu tun ist sinnlos, für ehrlos halte ich es nicht.“ Das ist jetzt die Höderlinsche Antigone-Fassung und der Zuschauer schließt sich bald an.

Bemerkenswert ist der Mut der Schauspieler (Peter Allmedinger, Henriette Hense-Kniep, Otto Kumstel, Melanie Schiebener, Maike Zander), den Zuschauern so nahe zu kommen, bis die dicken Schminkschichten sichtbar werden. Wenn klassische Avantgardemittel aufgegriffen werden – Verfremdungseffekte, Einbeziehen des Publikums – dann mit Raffinesse und nicht als Selbstzweck. Und es bestechen Requisiten und Bühnenbild von Regisseur Jürgen Müller-Othzen, vom Radieschen zur asketischen Atzung der Zuschauer bis zum modrigen Laubboden. Egal, dass man beim schmalen Grat zwischen Ernst und Parodie manchmal etwas danebentritt. bk

Nächste Aufführungen erst im Januar

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