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Archiv-Artikel

Gottschalk sagt Abwesende Arroganz

Fritz Pleitgen wird Chef vom Kulturhauptstadtgedöns. Ich traf den Fritz ja zuletzt bei der Verleihung des Kamerapreises 2005 am Buffet, wir plauderten ein bisschen, aber nichts Berufliches: Er gab mir den Löffel vom Kartoffelgratin, ich sagte: „Danke“ und er „Bitte“. Netter Kerl.

Ich finde es gut, dass Essen für das Ruhrgebiet Kulturhauptstadt 2010 wird, und ich finde gut, dass Köln es nicht wird. O.K, ich wohne in Köln und möchte auch nicht nach Bottrop ziehen, aber trotzdem. Ohne jede Ahnung einfach mal so ins Blaue geraten – kurz: im Stile des modernen Journalismus – würde ich behaupten, Köln hätte die Ehre, Kulturhauptstadt zu werden, mit dem überlegenen Lächeln einer alternden Diva entgegen genommen. Dann hätte es eine Zeitlang Ärger und Querelen gegeben, zu diesem Zwecke hatte sich schließlich schon ein „Kompetenzteam“ gebildet. Am Schluss hätte jeder hergelaufene Barfuß-Kinderclown versucht, an irgendwelche Gelder zu kommen und jede Kunstsparte, oder auch jeder einzelne Künstler hätte sich benachteiligt gefühlt. Dann wären noch die Höhner mit den Philharmonikern zusammen aufgetreten, und 2011 wäre das Geld weg und alles wieder beim Alten gewesen.

Neulich wurde ich von einer anderen Zeitung mit einem Kollegen nach Essen geschickt, um zu überprüfen, ob das in Ordnung geht mit der Kulturhauptstadt. Wir einigten uns auf ja, auch wenn ich die Zeche Zollverein selbst beeindruckender fand als die Designausstellung darin. Ziemlicher Studentenkram hauptsächlich. Wirklich begeistert waren wir eigentlich von der Alltagskultur: Leberkäs‘ mit Bratkartoffeln im Clubhaus des Rudervereins, die Abwesenheit von Arroganz, auch bei DJs und Clubbesitzern. Außerdem abgerockerte Gebäude, in denen unten eine Spielhölle und oben ein klassischer Triaden-Chinese untergebracht ist und gleich ums Eck das Bestattungshaus „Sonnenschein“. So was finden wir gut.

Wenn ich mich recht erinnere, habe ich über das Ruhrgebiet schon mal gesagt: Ich mag die Menschen dort. Oh Gott, solche Sätze sage ich mittlerweile, das wäre mir mit vierundzwanzig nicht passiert, da war ich noch strenger. Egal, ich meine natürlich, dass ich im Ruhrgebiet meistens angenehme Begegnungen hatte. Mit hilfsbereiten Kraftfahrern, freundlichen Künstlern und begeisterten Pilstrinkern. Fritz Pleitgen übrigens machte am Donnerstag in der Sendung west.art den Eindruck, er sei mehr oder weniger gezwungen worden, den Job zu übernehmen. So richtig glücklich wirkte er nicht.

Mittlerweile frage ich mich manchmal, ob Bodenständigkeit auch aufgesetzt sein kann. Der Sänger Bernd Begemann, der stets sehr lange Auftritte bestreitet, beschrieb die Stimmung im Publikum bei einem Konzert im Ruhrgebiet mal ungefähr so: Nu‘ mach ma‘ hin Bernd, wir müssen gleich wieder in die Mine!

Fotohinweis: CHRISTIAN GOTTSCHALK lebt in Köln und sagt die Wahrheit – alle zwei Wochen in der taz