Gotteslohn für Caritas-Beschäftigte: Westarbeit zum Osttarif
In Hannover sollen verschuldete katholische Seniorenheime vom evangelischen Johannesstift übernommen und dabei die Löhne auf Ostniveau gesenkt werden. Nun ist die Aufregung groß.
Konfessionelle Übernahmen sind in Deutschland eher selten, doch das soll sich ändern. Wenn alles läuft wie geplant, werden im Spätsommer fünf defizitäre Heime plus eine ambulante Pflegestation der Caritas-Seniorendienste-Hannover gGmbH (katholisch) in den Besitz des Berliner Johannesstiftes (evangelisch) übergehen. Betroffen sind 580 Mitarbeiter und 530 Senioren. Die Protagonisten streiten heftig, ob es sich dabei um ein Schurkenstück oder eine ökumenische Romanze in Moll handelt.
Das Schurkenstück sähe so aus: Das Johannesstift, eine der ältesten diakonischen Einrichtungen in Berlin (Jahresumsatz 120 Millionen Euro), kauft 90 Prozent der Caritas Senioren-Dienste (CSH) und übernimmt Verbindlichkeiten von 8,3 Millionen Euro und den Betrieb der Einrichtungen. Im Gegenzug müssen die Mitarbeiter in Hannover einen neuen Tarifvertrag akzeptieren, der es einem Käufer ermöglicht, die Löhne in Notlagen drastisch zu kürzen. Da die CSH offensichtlich in einer Notlage ist, hat Stiftsvorsteher Martin von Essen gleich eine Hausnummer genannt - 13 Prozent - und hinzugefügt: "Die Zustimmung aller Mitarbeitenden zu den veränderten Vertragsbedingungen ist die Voraussetzung für die Übernahme."
Die Belegschaft ruft "Erpressung", fühlt sich "verramscht" und bedroht von der hauseigenen Leiharbeiterfirma des Johannesstiftes mit dem schönen Namen "Persona Non Grata". Die Gewerkschaft Ver.di ruft "Lohndumping" und zur Protestkundgebung auf. Manfred Freyermut, Chef der diakonischen Mitarbeitervertretungen (MAV) raunt, dass es noch einen anderen Anbieter gibt, aber das Johannesstift habe Exklusivverhandlungen verlangt. Fragt man Freyermut, wer der Interessent sei, sagt er: "Der ist aus dem diakonischen Bereich in Niedersachsen, mehr sag ich nicht." Der Anbieter ist die Diakonie Kästorf - bei der Herr Freyermuth der MAV-Vorsitzende ist.
In den Klagechor stimmt auch Landesbischöfin Margot Käßmann ein: "Wenn wir als evangelische Diakonie schon die Löhne drücken, dann wird es immer schwerer zu argumentieren." Die rechte Würze erhält dieses Statement durch den Umstand, dass ihr Boss, der EKD-Vorsitzende Wolfgang Huber, im Hauptberuf Berliner Bischof ist und das Johannesstift damit quasi unter seiner Aufsicht steht. Aus seinem Hause gibt es keinen Kommentar. Er geht bald in Rente. EKD-Nachfolgerin möchte Frau Käßmann werden.
Man kann das Ganze aber auch ganz anders sehen. So wie der Sprecher des Johannesstiftes, Tobias Kley. Beim Wort Exklusivverhandlungen seufzt er und sagt: "Das war schlicht der Zeitdruck. Die CSH macht 130.000 Euro Verlust im Monat und hätte schon im April Insolvenz anmelden müssen." Außerdem betreibe das Stift Einrichtungen in Thüringen und Brandenburg, alle mit dem gleichen Tarifvertrag. Man hätte noch nie die Löhne senken müssen. Nur in Hannover. "Dafür garantieren wir, dass es drei Jahre lang keine betriebsbedingten Kündigungen geben wird."
Propst Martin Tenge, Vorstandsvorsitzender der Caritas Hannover, der bei dem ganzen Theater nicht zu Unrecht "übergeordnete Interessen vermutet", nennt den Verkauf sogar eine "glückliche Variante". Eine Alternativlösung sei nur an die Mitarbeitervertretung herangetragen worden. "Uns lag und liegt kein Angebot vor." Schuld an der Misere, meint Tenge, sei ohnehin die Politik. "Wer bei den katastrophal niedrigen Pflegesätzen in Niedersachsen ein Heim aufmacht, kann genauso gut gleich Insolvenz anmelden."
Darin sind sich alle Beteiligten einig. Seit Jahren beknien sie die Landesregierung, tätig zu werden. In der Pressestelle von Gesundheitsministerin Mechthild Ross-Luttmann versteht man das Problem nicht. "Wir", heißt es da, "sind immer tätig."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!