Gotscheff-Inszenierung: Geile Gags
Dimiter Gotscheff inszeniert "Das Pulverfass" von Dejan Dukowski am Haus der Berliner Festspiele: Abgeklärt virtuos, humorvoll - analytisch aber eher uninspiriert.
Äpfel kullern mit leisem Poltern die lange Schräge der Bühne hinunter und verschwinden unten mit einem kleinen Plumps im Wassergraben, der die Schauspieler vom Publikum trennt. Und so wie die grünen Äpfel nur den Weg abwärts kennen, läuft eine Figur nach der anderen eine Weile laut rumorend auf den Abgrund zu in Dejan Dukowskis Drama "Das Pulverfass".
Am Ende ist meist einer tot in den elf kurzen Geschichten, die sich um Freundschaft, Rache, Verrat und die Hackordnung unter Gefangenen drehen. "Eine Flasche fliegt durchs Fenster und trifft Kyrill am Kopf. Kyrill fällt tot um", hört man dann beispielsweise eine laute Stimme sagen, und der Darsteller des Kyrill greift sich mit Staunen und Verzögerung an die Stirn und legt sich langsam auf den schrägen Boden. So nimmt man sein Schicksal entgegen.
Das Fallen der Äpfel skandiert die Szenenfolge wie einen Refrain, ebenso wie der Auftritt einer gebeugten Frau, die in Gummistiefeln und Strickjacke durch den Wassergraben watet und die Äpfel in ihre Schürze sammelt. Aber kaum, dass das Tuch voll ist, entgleiten sie ihr wieder. Und auch diese Geste des Vergeblichen findet ihr Echo in einer Frage, die in den Geschichten immer wieder auftaucht: "Warum das alles?"
Das alles, das ist die Gewalt. Für ihren Ausbruch reicht ein zerbeulter Kotflügel oder ein Blick vom falschen Mann auf die Freundin. Woher diese Gewalt aber strukturell stammt, wie sie begonnen hat, das ist diesen prügelnden und geprügelten Männern, diesen Vergewaltigern und Vergewaltigungsopfern nur noch bedingt in Erinnerung.
Es ist eine weinerliche und wehleidige Brutalität, von der Dejan Dukowski in seinem Stück, das 1996 herauskam, in seinem revuehaften Bilderbogen erzählt. Dass die Kriege, die das ehemalige Jugoslawien zerrissen haben, dahinterstehen, ist die eine Folie seines Stücks; und gerade dass von den Kriegen kaum die Rede ist, macht die Verinnerlichung der Muster von Erniedrigung und Selbstermächtigung umso bedrückender. Die andere Folie aber ist eine Mentalitätsskizze des Balkans, in der die Figuren am Klischee hängen, zappeln und zuckeln, wie an den Fäden eines Marionettenspielers.
In Berlin hat jetzt Dimiter Gotscheff in einer Koproduktion des Deutschen Theaters und der Berliner Festspiele "Das Pulverfass" inszeniert. Das Ensemble mit Birgit Minichmayr, Margit Bendokat, Samuel Finzi, Wolfram Koch und alle anderen nimmt sich der Sache mit einer großen Portion Humor an. Sie werden dabei von einem Orchester unter der Leitung von Sandy Lopicic begleitet, das mit quengelnden, seufzenden, schluchzenden Tönen den Hang zum Sentimentalen breit ausmalt.
Ah, wie sie sich aalen im Schmerz, zwei Freunde (Finzi und Magne Håvard Brekke), die sich in ihren Bekenntnissen von Schuld und Verrat am anderen gegenseitig überbieten und sich dann doch laut singend und tanzend in den Armen liegen, das hat etwas großartig Groteskes. Und es ist ebenso sehr überzogene Karikatur wie ernst gemeintes Bild. Die Balkanseele singt und weint, ein Scheiß ist das, von dem sie nicht loskommen.
Die Berliner Festspiele eröffnen mit dieser Inszenierung ihr Programm "Spielzeit Europa". Mit der Produktion wolle man auch an "Europas vergessenes Herz" erinnern, sagt Brigitte Fürle, künstlerische Leiterin der Spielzeit Europa. Zur Pressekonferenz hat sie neben dem Autor auch den Regisseur Dimiter Gotscheff und Samuel Finzi, die beide aus Bulgarien kommen, mit aufs Podium gebeten und quasi per Herkunft zu Balkanexperten ernannt. Ein wenig peinlich ist das schon, dieses große Authentizitätsgütesiegel, das damit der Produktion aufgedrückt wird.
Das Stück funktioniert aber gerade da gut, wo es nicht mehr als Theater sein will. Und das beschert der Aufführung weniger analytische Qualitäten als vielmehr geile Gags. Man sieht zum Beispiel, was hinter der plötzlichen Beschleunigung des Balkansounds steckt: ein Wettlauf mit der Zeit, die eine Zündschnur zum Brennen braucht.
Den Schauspielern liefert "Das Pulverfass" eine sehr verführerische Vorlage, das Schmierige, Gemeine und Hinterhältige auszumalen. Einige Rollen nehmen sie sich gleich zu viert, im Chor oder als Quartett an - und damit wird das Konkurrieren um die Darstellung, das Überbieten in den Machtspielchen um erzwungene Aufmerksamkeit und Zuwendung wenigstens zu einem offenen Showkampf. Ihre Opfer auf der Bühne erpressen sie mit Messern und Drohungen, das Publikum aber ziehen sie mit Virtuosentum alter Schule auf ihre Seite.
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