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Gorbatschow will Volksabstimmung

■ Im Obersten Sowjet sind sich alle Redner einig, die Kollektivierung der Landwirtschaft aufzuheben und zu Privateigentum überzugehen/ Schatalin und Silajew: Referendum verzögert Reformen

Berlin (adn/taz) — Gorbatschow will die Bürger der Sowjetunion darüber abstimmen lassen, ob das nach 1928 kollektivierte Land wieder an die Bauern zurückgegeben werden soll. Diese Frage sei viel zu bedeutend, als daß man sie in Arbeitszimmern und Hörsälen beantworten könnte. Deshalb müsse das Volk selbst entscheiden. In der Debatte um die Wirtschaftsreformen forderte Gorbatschow gestern morgen vor den Abgeordneten des Obersten Sowjets eine radikale wirschaftliche Kehrtwende, wandte sich jedoch auch dagegen, der Bevölkerung zu große Opfer abzuverlangen. Gleichzeitig stellte er sich aber vor die Regierung Ryschkow und sprach sich entschieden gegen ein „Großreinemachen“ in den obersten Machtetagen aus.

Gorbatschow setzte sich wie Ryschkow für unverzügliche Maßnahmen zur Stabilisierung der Wirtschaft des Landes ein. Ohne Stabilisierung der Lage könne von einem Übergang zur Marktwirtschaft überhaupt keine Rede sein. Vor allem müßten das sowjetische Finanz- und Währungssystem und die Geldemission in Ordnung gebracht werden, sonst sei die Inflation nicht mehr aufzuhalten. Dieser Prozeß erfordere eine strenge Kontrolle von seiten des Staates. Die gegenwärtige Diskussion über die Marktwirtschaft sei eine gute Vorbereitung für die Ausarbeitung eines neuen Unionsvertrages, die im Geiste von Freundschaft und Zusammenarbeit zwischen den Republiken erfolgen sollte. Die Frage der Zukunft des Sowjetstaates als Vielvölkerstaat wertete der Präsident als Hauptfrage. Doch sehe er auch Gefahren. Bestimmte Kräfte nutzten die schwierige Lage zu politischen Kämpfen mit Waffen verschiedenen Kalibers aus. Wer die Konsolidierungsprozesse mit unüberlegten Schritten störe, lade große Verantwortung gegenüber dem Volk und der Geschichte auf sich.

Im Streit um die Frage, auf welchem Weg wieviel Elemente der Marktwirtschaft eingeführt werden sollten, fanden die Exponenten der vorliegenden Reformpläne auch am Montag keine Antwort. Das Spektrum der Vorschläge reicht von radikaler Reform im Schatalin-Plan über einen mittleren Kurs, der von dem Ökonomen Abel Aganbegjan vorgelegt wurde, bis zur zumindest teilweisen Beibehaltung zentralistischer Methoden, wie sie Ryschkow favorisiert und von dem bekannten Ökonomen Abalkin ausgearbeitet wurde. Gorbatschow sagte, welcher Plan auch immer angenommen werden sollte, er müsse die Bevölkerung vor Inflation, Arbeitslosigkeit und vor allzu scharfen Preissteigerungen in Bereichen wie Gesundheits- und Wohnungswesen bewahren.

Gorbatschows Vorstoß in der Frage der Volksabstimmung stieß umgehend auf Widerspruch bei Stanislaw Schatalin. Die Vorbereitung eines Referendums müsse die dringend nötigen Reformen um mindestens sechs Monate verzögern. Die Politiker selbst müßten die Verantwortung für Entscheidungen wie die anstehenden übernehmen und sie nicht scheuen. Auch der Regierungschef Rußlands, Iwan Silajew, wandte sich gegen Gorbatschows Vorschlag. Das Parlament seiner Republik werde das beschlossene Reformprogramm umsetzen. Und dazu gehöre das Privateigentum, vor allem das an Grund und Boden. Im übrigen sei der Schatalin-Plan nicht nur von Rußland, sondern auch von anderen Republiken gestützt. Gorbatschow antwortete, er sei nicht für Volksabstimmungen in allen möglichen Fragen, sondern trete nur in der Frage der Bodenreform für ein Referendum ein. er

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