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Gorbatschow: Macht in Raten

■ Das Sowjetische Parlament billigt die Einführung eines Präsidialamtes

Der Oberste Sowjet der UdSSR hat erstmals in der Geschichte des Landes der Einführung eines Präsidentenamtes zugestimmt. Das zukünftige Staatsoberhaupt wird mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet werden. Der konservative Flügel im Parlament meldete Bedenken hinsichtlich der Machtkonzentration in den Händen Gorbatschows an. Im Verlaufe der Debatte verabschiedeten die Volksdeputierten Erlasse zur Notstandsgesetzgebung.

Moskau (dpa/ap/afp) - Überraschend hat die sowjetische Regierung dem Obersten Sowjet einen Entwurf zur Notstandsgesetzgebung vorgelegt, dem zufolge das Präsidium des Parlaments bei Unruhen in einer Republik dort auf Zeit die Herrschaft ausüben könnte. Darüber hinaus hat der Oberste Sowjet gestern mit 347 Ja- gegen 24 Neinstimmen eine Resolution verabschiedet, in der die Schaffung eines Präsidentenamtes für „unabdingbar“ gehalten wird.

Im Vorfeld der Beratungen hatte es allerdings heftige Reaktionen gegeben, da der zukünftige Amtsinhaber nach dem vorliegenden Gesetzentwurf mit sehr weitgehenden Machtbefugnissen ausgestattet wäre. Der zweite Teil dieses Textes, der sich mit der rechtlichen Stellung des Präsidenten befaßt, wurde weiterhin beraten. Wladimir Kondrijazow, Vorsitzender der zuständigen Parlamentskommission, schlug zu Beginn der Sitzung vor, den Präsidenten in allernächster Zukunft von einem außerordentlichen Kongreß der Volksdeputierten wählen zu lassen.

Deputierte aus Lettland, Litauen, Estland und Georgien ließen bereits durchblicken, sie würden an dieser Abstimmung nicht teilnehmen.

Die Einführung des Präsidialamtes begründete Kondrijazow mit der Notwendigkeit, die Führung des Landes effizienter zu machen. Zwar gebe es bereits den Posten eines Präsidenten des Obersten Sowjets, den Gorbatschow momentan schon bekleide. Dies sei aber noch eine kollektive Führung, die die Probleme bisher nicht schnell genug lösen könne. Der Entwurf sieht vor, den Präsidenten auf fünf Jahre zu wählen. Seine Dekrete wären für die Regierung bindend, dürften jedoch weder gegen die Verfassung noch gegen die Gesetzgebung des Obersten Sowjets verstoßen.

Kontrolliert werden soll der künftige Präsident vom Kongreß der Volksdeputierten, der ihn bei Rechtsverletzungen auch abberufen kann. Gewählt werden soll der Präsident später in einer allgemeinen Wahl vom ganzen Volk. Unklar ist dabei aber noch, wie die Abstimmungen in den einzelnen Republiken gestaltet und untereinander gewichtet werden sollen. Daher der Vorschlag, den Präsiden- ten zunächst vom Volksdepu -tiertenkongreß bestimmen zu lassen.

Sollte sich eine Mehrheit für die Einführung der Notstandsgesetze finden, wäre das Präsidium des Obersten Sowjets ermächtigt, bei Massenunruhen die parlamentarischen Gremien des jeweiligen Gebietes zu suspendieren, Regierungsbeschlüsse aufzuheben und die Verwaltung in eigene Hände zu nehmen. Außerdem könnten Bürgerrechte vorübergehend außer Kraft gesetzt, Organisationen verboten und Verdächtige bis zu 30 Tagen ohne Verfahren inhaftiert werden. Insgesamt sieht der Entwurf zwanzig Maßnahmen „zum Schutz der Interessen der Sowjetunion und der Sicherheit des Bürgers“ vor, darunter Streik- und Versammlungsverbote, Ausgangssperre und eine Kontrolle der Medien.

Da das Ausnahmerecht lediglich als „zeitlich befristete Maßnahme“ bezeichnet wurde, die nicht gegen geltendes Verfassungsrecht verstoße, kann der Kongreß der Volksdeputierten bei der Verabschiedung des Gesetzespaketes übergangen werden.

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