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„Gommsde naggich in de Zeidung“

■ Das Fotomodell als real existierend und DDR-Ansichtssache / Ausstellung Leipziger Model-Fotos im Presseclub

Was für eine Gegenüberstellung möglicherweise! Das Fotomodell als dreigeteilte Ansichtssache: einmal als Model als solches, also von außen. Dann als Model von innen, also als Mensch; und dann alles zusammen aus der DDR. Eine Aufgabe, die sich Rainer Dorndeck, freier Werbe-und Modefotograf aus Leipzig, freiwillig gestellt hat mit heftigem Sinn für's Gegensätzliche. Weil: das Model ist ja prinzipiell angezogen, wegen der Werbung, für, sagen wir, Trikotagen oder Pelzwaren hierhin bitte die

Frau im Stuhl

oder Strumpfwaren oder Lederwaren vom volkseigenen Kombinat. Und weil das Model nun von innen, als Mensch - wo man ja nicht posiert, sondern ist wie man ist - fotografiert werden sollte, hat es Rainer Dorndeck real existierend abgelichtet, was real übersetzt Aktfoto heißt.

Und jetzt aber hui, wie augenfällig künstliche Werbe-Posen einerseits und gleich daneben künstlerische Anti-Posen werden. Da hängt zum Beispiel Barbara Wandelt an der Presseclubwand: Barbara Wandelt ragt schräg aufgerichtet wie eine Gallionsfigur in einen milchlichtig retuschierten Hintergrund, trägt eine Trikotage im Nachthemdstil und blickt in nahe Fernen keusch oder unkeusch - wir wissen es nicht, der Blick ist verhangen, einerseits vom Pony, andererseits per se - Adrettwerbung für unrührend anständige Unterwäsche, also was für Mütter. Und richtig: Das zweite Bild lehrt uns, daß Barbara Wandelt Mutter von zwei properen Jungens ist und auch unter dem Unterzeug aussieht. Die Jungs haben sich ebenfalls ausgezogen, zum Beweis, daß sie ebenfalls natürlich sind. Man friert ein wenig mit ihnen. Aber vielleicht liegt das ja an den großgemusterten Teppichböden, den ausgestellten Tütenlampen, der miesebiederpetrigen Umgebung der reell klaustrophobi hierhin bitte die

nacktee Familie

schen Klause. Dann hängen da

aber auch noch veritable Jungfräuleins mit Namen Gundel Richter oder Andrea Pampel, einerseits blickdicht in Pelzen und Trikotagen, andererseits nackich schenant mit Strickzeug vor Kommoden in Einraum-Jungmädchenzimmern, die zu betrachten einen die Unschuld kostet.

Rainer Dorndeck ist im Presseclub zu Vorgesprächen anwesend und erklärt verlegen gerne. Es ist nämlich ein persönliches Interesse von ihm, das mit den Aktfotos, und die von ihm gesuchte Perspektive „Weg von der üblichen Nacktheit“ führte hin zur persönlichen Umgebung. Die meisten Models, die er gefragt hat, haben nein gesagt, auch wegen dem Freund: „Mensch, da gommste naggich in de Zeidung“, imitiert Dorndeck einen imaginären Lebenspartner. Jedenfalls sind fast alle Models privat nackte Mütter mit nackten Kindern, reell bis in den Lidstrich. Unter dem blicken sie tapfer gefestigt, trotz des Wissens um das etwas andere Schönheitsideal im Westen, in die Kamera. Das beruhigt wegen diesem Flair des Undekadenten, was wir auch erwartet haben.

In der DDR zählt das Runde, Anmutige, also Weibliche - und sind nicht auch die vorbildlichen West-Bohnenstangen furchtbar und leiden persönlich? Trotzdem mogeln sich die kleineren DDR-Models „alle hoch“ und kann ein guter Fotograf auch strecken. Das Mitgefühl ist echt bei der mitrei

senden Lebensgefährtin Dagmar Richter, 1 Meter 76, die eben keine Gattin ist, sondern stylisierende Assistentin und ihrem fotografierenden Gefährten behilflich, potentielle Kandidatinnen für Werbefotozwecke auf Parkbänken oder vor Unis zu „observieren“. An welcher Ästhetik hioerhin nasckte

Frau im zimmer

orientieren sich die beiden? An einer metropolitanen Frauenzeitschrift, vom Schulfreund geschickt, der mal in Bitterfeld zur Schule ging, jetzt in Bremen in der Pressestelle des Senats arbeitet und dem alten Kumpel die Ausstellung verschaffte.

Jetzt, nach dem „Grenzpipapo“, ist endlich die Richtlinie hinfällig, mit der das Ostberliner „Modeinstitut der DDR“ bisher aktuelles Modebewußtsein vorschrieb: für den Sommer '90 zum Beispiel „Go, Fly, Run“, eine tatsächlich unfreiwillige Parallele zur aktuellen Fluchtwelle. Vorsicht Untiefen. clak

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