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Goldrausch und Hunger im Sahel

Heuschreckenplage in Burkina Faso / In der Sahelzone Burkina Fasos überleben Zehntausende Bauern die Trockenzeit mit Goldsuche  ■  Aus Dori Walter Engelberg

Gold für mehrere Millionen Francs habe im letzten Jahr jemand gefunden, sagt Hamidu, und er habe schon von vielen gehört, die als reiche Männer aus Essakane heimgekehrt seien. An die Gewißheit, daß das große Glück auch auf ihn wartet, klammert sich Hamidu, denn ohne diese Hoffnung wäre für ihn nichts in Essakane außer unmenschlicher Arbeit und heißem Staub.

Hamidu Lompo, ein zwanzigjähriger Mann von der Ethnie der Gourmanche aus dem Grenzgebiet von Burkina Faso und dem Niger, verließ mit ein paar Freunden sein Dorf, als die Hirsevorräte zur Neige gingen. Das war im Januar, schon drei Monate nach der Ernte. Bald darauf waren auch die anderen Bewohner auf der Flucht. Heute ist das Dorf völlig entvölkert, wie so viele Orte im Sahel. Eine Studie der Provinzverwaltung brachte das Ausmaß der Not zutage. In sieben von zehn Haushalten waren im März bereits sämtliche Getreidevorräte aufgezehrt, ein halbes Jahr vor der nächsten Ernte.

Ob alle Bauern zurückkommen werden, um die Felder zu bestellen, wenn im Juni die ersten Regen gefallen sind, ist ungewiß. Denn so verheerende Ernteausfälle wie im letzten Jahr haben die meisten Menschen im Sahel lange nicht erlebt

-das Saatgut haben sie gegessen. Die Regenfälle hätten der Menge nach für eine gute Hirseernte ausgereicht. Doch wurde der Sahel 1989 von einer Heuschreckenplage heimgesucht. Die Bauern mußten ohnmächtig mitansehen, wie riesige Heuschreckenschwärme den Himmel verdunkelten und über die Hirsefelder herfielen. So konnte in der Provinz Seno nur die Hälfte des Getreidebedarfs selbst erzeugt werden. Was bleibt den Menschen, die nicht über Vieh oder andere Sicherheiten verfügen? Wilde Nahrungsfrüchte finden sie im trockenen Sahel kaum. Der blanke Hunger treibt sie nun, in der heißen Trockenzeit, aus ihrer Heimat.

Hamidu ging nach Essakane, einer der wichtigsten Goldfundorte im burkinischen Sahel. Essakane heißt in der Sprache der einheimischen Peul „Oase“, und bis vor ein paar Jahren war hier nur eine kleine Ansiedlung an einer Wasserstelle. Nach dem ersten größeren Goldfund 1985 begann der Goldrausch. Jahr für Jahr stieg die Zahl der Menschen, die Burkina Faso und aus allen umliegenden Ländern heranströmten, selbst während der Trockenzeit. In diesem Jahr besiedeln an die 20.000 Goldsucher diesen Fleck inmitten kahler Ödnis, so schätzt Emil Conte, Repräsentant der staatlichen Goldfirma Filiere d'Or. Längst läuft der Markt von Essakane in der Angebotsvielfalt den umliegenden Marktorten den Rang ab. Der Ort gliedert sich bereits in nach Ethnie und Nationalität getrennte Viertel von Strohhütten. Ein einziger Brunnen dient der Wasserversorgung der ganzen Stadt, so daß ein Eimer Wasser schon zum Luxus wird. Außer einer Krankenschwester und einem Polizeiposten existiert keine staatliche Infrastruktur.

Hamidu teilt sich mit vier anderen jungen Männern eine Hütte aus Hirsestrohmatten. Möbel oder andere Einrichtungsgegenstände haben sie nicht, was sie besitzen, tragen sie bei sich. Arbeit fand Hamidu schnell bei einem der Patrons. Wie jemand zum Patron werden könne, frage ich Monsieur Conte. Dazu brauche es nur einen guten Ruf und 25.000 Francs CFA - etwa 150 Mark -, und schon könne man sich einen Claim abstecken lassen.

Der Patron von Hamidu beschäftigt etwa fünfzig Leute für die verschiedenen Arbeitsgänge der Goldgewinnung. Dazu gehören zuerst die Bergarbeiter, die mit Spitzhacke und Schaufel bis zu dreißig Meter tief in den Untergrund vordringen. In steil abfallenden, völlig ungesicherten Schächten folgen sie dünnen Quarzadern im Gestein, in denen sich das begehrte Metall verbirgt. In halsbrecherischer Arbeit wird Quarz und Abraum Sack für Sack aus den staubigen, unbelüfteten Schächten befördert. Es ist eine Arbeit für wagemutige Kletterer und täglich kommt es zu Unfällen. Zwei von drei Säcken Quarz behalten als Entlohnung die Bergarbeiter, ein Sack ist für den Patron. Der beschafft das Werkzeug und pachtet den Claim. Er ist es auch, der die Mörser zum Zerkleinern des Quarzes stellt.

Mit schweren Eisenstangen wird in den Mörsern Stein für Stein zu Pulver zerstoßen. Dies ist die mühsehligste und stumpfsinnigste Arbeit, die sich denken läßt. Meist sind es Frauen, die über den Mörsern im Staub sitzen, vor der unbarmherzig brennenden Sonne nur unzureichend geschützt. Die Temperaturen erreichen im Mai bis zu fünfzig Grad im Schatten und dazu weht ein scharfer Wind. Um die Arbeit zu ertragen, betäuben sich viele Goldsucher in Essakane mit Drogen. Besucher aus Europa oder aus Burkinas Hauptstadt sind schockiert beim Anblick der staubverkrusteten Menschen. Assoziationen mit Straflagern und Zwangsarbeit drängen sich auf. Doch sind es nicht Gewehre und Peitschen, die die Menschen hier zusammentreiben, sondern die Not, in der Trockenzeit ein Auskommen zu finden. Welche Alternativen hätten sie? Sie sind fremd im Süden; und wer könnte ihnen Arbeit geben? Die Elfenbeinküste, das traditionelle Auswanderungsland der Burkinabe, steckt aufgrund der niedrigen Kaffee- und Kakaopreise in einer tiefen Wirtschaftskrise, es wächst die Fremdenfeindlichkeit.

Hamidu sitzt mit zwei Kollegen am Ende der Produktionskette. Mit kreisenden Bewegungen waschen sie in flachen Metallpfannen das Quarzpulver. Zurück bleibt ein winziges Häufchen glänzender Körper - Gold. Ebenso wie die Frauen an den Mörsern wird auch Hamidu mit je einem Sechstel des Quarzes bezahlt, das er verarbeitet. Ob sich darin Gold finden wird, ist sein eigenes Risiko. Eifersüchtig wacht deshalb jeder darüber, daß niemand vielversprechende Quarzklumpen beiseite schafft - ein perfektes System sozialer Kontrolle.

Alles gefundene Gold muß offiziell vor Ort an einen der lizensierten Agenten zum festen Preis verkauft werden. Vor dem Verlassen der Schürfstelle wird jeder in einer Leibesvisitation von der Gendarmerie auf verstecktes Gold untersucht. Hamidu verkauft seine Tagesausbeute am Nachmittag. Fast drei Mark bekommt er umgerechnet für ein Häufchen Goldstaub, das nicht einmal zwei Streichhölzer aufwiegt. Ein gutes Ergebnis findet er. Größere Mengen bringt kaum jemand auf die Waage - außer den Patrons.

Eine halbe Tonne Gold setzten die Aufkäufer von Essakane im letzten Jahr an die Filiere d'Or ab. Auf illegalen Wegen über die nahen Grenzen von Mali und Niger verläßt mindestens noch mal die gleiche Menge das Land, so bestätigt Direktor Bilma vom staatlichen Exportmonopol. Der Staat versucht, den Schmuggel mit Kontrollen einzudämmen. Ein verständliches Ansinnen, schließlich flossen 1989 durch den Export von zweieinhalb Tonnen Gold circa 50 Millionen Mark ins Land. Für das ressourcenarme Burkina Faso ist dies eine beachtliche Summe.

Das, was Hamidu für das kleine Häufchen Gold bekommt, ist etwa ein Viertel des Weltmarktpreises für diese Menge. Den großen Rest stecken sich Zwischenhändler und vor allem der Staat ein. Auch diejenigen, die an Schwarzhändler und Schmuggler ihr Gold verkaufen, machen kaum bessere Geschäfte. Viele von ihnen sind bei Wucherern verschuldet und so gezwungen, zu unvorteilhaften Bedingungen zu verkaufen. Für die große Masse der Goldsucher reichen die Einkünfte gerade für den Lebensunterhalt. Sie verlassen Essakane mit ebenso leeren Taschen, wie sie gekommen sind. Viele Hoffnungen aufs große Glück werden enttäuscht. Aber mit dem Gold haben sich viele für die Trockenzeit ein Auskommen gesichert in einem Landstrich, in dem dies aufgrund der fortschreitenden Verwüstung immer schwieriger wird.

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