: „Goldenes Ventil“ für DDR–Ordensmief
■ Die DDR–Friedensbewegung verlieh in Ostberlin einen eigenen Orden an unabhängige Künstler und Aktivisten / „Friedensdekade“ der evangelischen Kirche / Schließen Kirchenführer ihr inoffizielles Forum?
Aus Ostberlin Jenny Marx
Metallplättchen an buntem Band, die feierlich an graue Jacketts oder frisch gestärkte Blusen geheftet werden, sind wohl das Letzte, woran es in der DDR mangelt. Seit Donnerstag ist die DDR um einen Orden ganz besonderer Art reicher, der bei den Offiziellen allerdings wohl kaum auf ungeteilte Zustimmung stoßen wird. Ein kleines goldenes Ventil ist das Symbol dieses Ordens, der am Donnerstag abend vor rund 600 Zuschauerinnen und Zuschauern in der Ostberliner Samariterkirche zahlreichen Aktiven der unabhängigen Friedensbewegung der DDR verliehen wurde, unter ihnen Wolfgang Templin und der Rostocker Rechtsanwalt Wolfgang Schnur. Die satirische Ordensverleihung fand im Rahmen der Friedensdekade der evangelischen Kirche in der DDR statt, die noch bis zum 19. November dauert. Zehn Tage lang veranstalten zahllose DDR–Gemeinden neben Fiedens–und Meditationsgottesdiensten, Kinderfesten und Altennachmittagen vor allem kritische Veranstaltungen von Gruppen und Künstlern, die im „realen Sozialismus“ anderswo keinen Raum haben. Zu diesen Künstlern gehören auch Freya Klier und Stefan Krawczyk, die fast ausschließlich über Mundpropaganda am Donnerstag rund 600 Menschen in die Samariterkirche lockten. Beide - seit vorgestern übrigens auch Träger des „Goldenen Ventils“ - haben in der DDR Auftrittsverbot - und begeisterten an diesem Abend das Publikum mit neuen bissigen Theaterszenen und Liedern. Eine Parodie auf die Konsumwelt, die Verleihung des Preises „Veteranin für den Frieden“ an die tattrige Oma Krüger, die Ode von Stefan Krawczyk an den neuen DDR–Mütterkult „Mein Kampfplatz für den Frieden ist der Kreißsaal“ - all das könnte man sich zur Zeit nur schwerlich im offiziellen DDR– Kulturprogramm vorstellen. In den Kirchengemeinden haben solch unbequeme Künstler während der Friedensdekade die einzige Gelegenheit für einen öffentlichen Auftritt. Noch, muß man dazu sagen, denn zur Zeit weht ihnen von seiten der Kirchenleitung ein scharfer Wind entgegen. Das Dach der Kirche, das in den letzten Jahren zahlreichen unabhängigen Initiativen an der Basis ein Forum gab, scheint den Kirchenoberen inzwischen zu weit gespannt zu sein. Die am vergangenen Sonntag bekanntgewordene Absage der Kirchenleitung an die für 1987 erneut geplante „Friedenswerkstatt“ wird als das bedrohlichste von zahlreichen Anzeichen dafür gewertet, daß die Kirchenleitung aus Rücksicht gegenüber dem Staat verstärkten Druck auf die Initiativen ausübt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen