: Gold-Ole und Pech-Magda
Während der Norweger Ole Einar Björndalen die Goldmedaillen im Biathlon nach Belieben abräumt, bleibt der Schwedin Magdalena Forsberg auch im Verfolgungsrennen der große Triumph versagt
aus Soldier Hollow MATTI LIESKE
Seit Ole Einar Björndalen sein drittes Gold im Biathlon gewonnen hat bei diesen Olympischen Spielen, fragt sich die Fachwelt: Was ist nur das Geheimnis dieses Norwegers, der nach gar nicht berauschendem Saisonverlauf plötzlich läuft wie die bewaffnete Version von Juanito Mühlegg und schießt wie Old Surehand? Ganz einfach: Schnaps! Und ein Staubsaugervertreter. Mit Feuerwasser pflegt der Norweger regelmäßig zu gurgeln, damit der Körper fit bleibt und die Erkältung fern. Fit ist er wie ein Silberlöwe aus den Wasatch Mountains, doch um die Konkurrenz so zu dominieren, wie es Björndalen tut, werden auch noch andere Fähigkeiten benötigt. „Ich habe viele Jahre Mentaltraining gemacht, aber es dauert lange, bis sich das auszahlt“, erzählt der 28-Jährige nach dem Sieg im Verfolgungsrennen und fügt hinzu: „Jemand hilft mir dabei in den letzten sechs, sieben Jahren.“ Nachfragen ergeben, dass es sich keineswegs um einen Psychologen handelt, sondern um einen norwegischen Geschäftsmann, der Staubsauger verkauft und Vertreter schult. „Ein guter Motivator“, sagt Björndalens Coach. Ganz offensichtlich.
Wir wissen nicht, was für ein Geheimrezept Magdalena Forsberg bevorzugt. Wenn sie ihre Karriere nicht nach dieser Saison beenden würde, sollte man ihr aber raten, es vielleicht mal mit einem Schnäpschen zu versuchen. Im Gegensatz zu Björndalen hatte die Schwedin die Weltcup-Saison dominiert, im Gegensatz zum Norweger blieben ihr auch diesmal die großen olympischen Triumphe versagt. Immerhin stürzte sie nicht ab, wie vor vier Jahren, in Nagano und holte wenigstens zwei Bronzemedaillen. Der große Knalleffekt zum Abschluss einer großen Laufbahn blieb jedoch aus.
Dabei schien alles angerichtet für den Coup der Magdalena Forsberg, die nur mit 39 Sekunden Rückstand auf Kati Wilhelm ins Rennen gegangen war und bereits nach dem ersten Schießen vorn lag. Das Verfolgungsrennen der Frauen verlief jedoch völlig anders als das der Männer, bei dem sich Björndalen von Anfang bis Ende kaum eine Blöße gab, zwei Fehlschüsse locker wegsteckte und klar vor dem Franzosen Raphael Poiree und dem Deutschen Ricco Gross siegte. Die Frauen lieferten alles, was dieser überaus merkwürdige Sport Biathlon zu bieten hat, bei dem es gilt, zwei Extreme miteinander in Einklang zu bringen: das Laufen, eine hektische, motorische und äußerst aktive Tätigkeit, die den ganzen Körper beansprucht, und das Schießen, das eine innere und äußere Ruhe erfordert, die jemand der gerade zwei oder drei Kilometer wie um sein Leben gelaufen ist, eigentlich unmöglich besitzen kann.
Bei einem Rennen gilt es, die „komplexe Biathlonleistung“, wie es Bundestrainer Frank Ullrich nennt, zusammenzufügen, einen idealen Rhythmus von Laufen und Schießen zu finden. „Man muss es im Gefühl haben, ob man die Konzentration hat, schnell zu schießen oder nicht“, sagt zum Beispiel Ole Einar Björndalen. Man darf beim Laufen nicht überdrehen, auch wenn man zurückzufallen droht, weil man dann beim Schießen zu zittrig ist, und man darf nicht hektisch werden, wenn es links und rechts knallt und die ärgsten Rivalen bereits aufspringen und davonstürmen. In einem Wettkampf bei Olympia ist es besonders schwierig, die Nerven zu behalten, weil es die wichtigsten Rennen in vier Jahren sind und alle „600 Prozent geben“, wie es der Franzose Poiree ausdrückt.
Bei den Verfolgungsrennen wirkte sich der Stress vor allem beim Schießen aus. Von 98 Athletinnen und Athleten blieb nur einer fehlerfrei, der Slowene Tomas Globocnik, der aber trotzdem nur 17. wurde. So war es kein Zufall, dass bei den Frauen drei ehemalige Langläuferinnen aufs Podium kamen, Silbermedaillengewinnerin Kati Wilhelm, die als Siegerin des Sprints mit entsprechendem Vorsprung gestartet war, sogar mit vier Fehlschüssen. Der Rennverlauf war hoch dramatisch, mit plötzlichen Führungswechseln, mit Läuferinnen wie der Russin Olga Pylewa, die mehr als eine Minute Rückstand gestartet war, aber Gold holte, und mit herben Enttäuschungen – vor allem für Magdalena Forsberg. Vor dem letzten Schießen hatten sich weder Pylewa noch Wilhelm große Hoffnungen auf eine Medaille gemacht, denn an der Spitze tobte ein packender Dreikampf zwischen der Schwedin, der Norwegerin Liv-Grete Poiree und der Bulgarin Irina Nikultschina. Der war jedoch so aufreibend, dass sich alle je zwei Fehlschüsse leisteten und dann nicht mehr die Kraft hatten, auf der Piste zurückzuschlagen. Die Bulgarin gewann noch Bronze, Poiree wurde Vierte, Forsberg, die schon über 15 km den Sieg ganz gegen ihre Art im letzten Schießen vergeben hatte, kam vollkommen ausgepumpt nur auf Rang sechs.
Kati Wilhelm hatte nach drei Fehlschüssen zu Beginn beinahe mit dem Rennen abgeschlossen und bemerkte erst ganz zum Schluss, als sie mit Pylewa an Forsberg und Poiree vorbeilief, die ihre Strafrunden absolvierten: „Oh, wir laufen um das ganz Große.“ Uschi Disl nahm zum Abschluss das Risiko eines sehr schnellen Schießens auf sich, beging gleich drei Fehler und brachte sich um jede Medaillenchance. Die 31-Jährige zeigte sich aber mit Silber aus dem Sprint hoch zufrieden und hat außerdem noch die Goldchance in der heutigen Staffel. „Andere fahren ganz ohne heim, schau dir Magda an, nur zwei bronzene“, sagte sie mit einem Seitenblick auf Forsberg, die längst wieder ihr bewährtes Lächeln aufgesetzt hatte. „Manchmal“, fasste Uschi Disl ihr Rennen zusammen, „heißt es einfach, friss oder stirb.“ Besser hätte es kein Staubsaugervertreter sagen können.
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