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Götze mit verchromten Griffen

Der Voodoo-Kult als Wurzel für die Verehrung des unbelebten Objekts oder die Wiederentdeckung des Automobils. Vier Filme im „Forum“  ■ Von Ulf Erdmann Ziegler

Das Auto war schon immer ein Vehikel des Kinos, der springende Cursor in der Chronologie der Erzählung. Es ist kleiner als ein Haus, aber man kann darin wohnen; es ist größer als ein Koffer, man kann es aber auch stehlen. Nicht die Tatsache, daß es transportiert, macht es interessant – das können das Flugzeug und das Fahrrad auch –, sondern das Verhältnis von Fahrer und Wagen, Autobesitzer und Begleitern. Dazu kommen die Begegnungen bei der Panne, der Weiterverkauf und der Unfall.

Selten ist das Auto wirklich Gegenstand des Kinos, also das Objekt, um das alles kreist wie um den Malteser Falken. John Carpenters „Christine“ (1983) zeigte – als Gruselfilm mit Augenzwinkern per Scheinwerfer – die Verwandlung des Autos in ein Ungeheuer. David Cronenberg hat in „Crash“ kürzlich versucht, die Unfallobsession mit sexuellem Fetischismus zu verknüpfen.

Im „Forum des jungen Films“ sind auf dieser Berlinale vier Filme aufgetaucht, die sich explizit mit Automobilen beschäftigen. Der bei weitem schwächste kommt aus den USA, die anderen sind in Taiwan, Benin und Argentinien gedreht. Die Intensität dieser drei Filme ist bemerkenswert.

„Divine carcasse“ beschreibt die Geschichte eines Peugeot 503, einer stattlichen tiefblauen Limousine mit vier Türen, Baujahr vielleicht 1960. Wir befinden uns in der Jetztzeit. Mit dem roten belgischen Nummernschild wird der Peugeot ins französischsprachige westafrikanische Benin ausgeliefert an seinen Besitzer, was den Film ins Milieu dort lebender Weißer bringt – so interessant wie Mallorca. Dann aber geht das Auto bald an Joseph, den schwarzen Koch, und die eigentliche Geschichte beginnt.

In Josephs Dorf wird das Ding angemessen bestaunt und überladen probegefahren. Kaum ist er fort, folgt eine religiöse Zeremonie, in der die Neider in ihre Schranken gewiesen werden. Es folgt eine Episode über den Versuch, das Auto in Cotonou als illegales Taxi einzusetzen, mit brillanten Shots von schwarzen Passagieren auf dem Rücksitz: Ehepaare, Schwestern, Kumpel, Kinder.

Aber die Überführung des Geschenks in eine Investition scheitert an der Diskrepanz laufender Kosten und nur unter heftigem Streit einzutreibender Fahrgelder. So fügt es sich, daß die Werkstatt auch gleich der Schrottplatz ist. Die Sitze verschwinden, die Räder... Und dann werden die Türen ausgebaut und in langwieriger Arbeit – der der Film der Belgierin Dominique Loreau (geb. 1955) in ethnographischer Strenge folgt – zurückverwandelt in Bleche.

Was der Zweck der Tortur ist, bleibt unklar, bis vier finstere Herren auftauchen und ihre „Bestellung“ zu sehen verlangen. Was dann aus dem Schuppen getragen wird, ist erstaunlich: eine übermannshohe Figur, aus Stahlstreifen geschweißt. Diese wird in langwieriger Flußfahrt in ein entlegenes Hüttendorf gebracht, verkleidet und eingeweiht. Zum Tragen sind die stolzen Türgriffe des Peugeot drangeblieben, nun vertikal ausgerichtet.

Wie fast jeder Film des Forums ist auch dieser zu lang, aber sehr eindrücklich, wenn man durchhält. Technokratisch gesehen erscheint der Voodoo-Kult als absurde Zweckentfremdung. Aber vielleicht ist gerade der Kult die Wurzel der Verehrung des unbelebten Objekts in der Industriegesellschaft; ein Objekt, das wir als belebt imaginieren, durch Größe, Nähe und Gebrauch.

Der argentinische Film „Winterland“ von Gregorio Cramer (geb. 1970) hat einen wunderbar ausgebleichten, zitronenfaltergelben R4, dem die Kamera in einer entscheidenden Szene um eine x-beliebige Ecke folgt – der Rhythmus aus stählernen Volumen und Fensterdurchblicken als visuelle Sensation. Der Aspekt der Armut ist bei weitem bedrückender in diesem Film als in dem afrikanischen, weil die tröstende Pracht des Handgemachten fehlt. Valdivia, ein Tagedieb, fährt schließlich mit einer heruntergekommenen Limousine in die Wüste. An Bord hievt er ein Schaf, das beim Picknick – er und sein Beifahrer haben sich frierend an das Auto gelehnt – an Stelle des Fahrers zum Fenster hinausschaut. Wenn ein Auto das letzte ist, was jemand vom Hunger trennt, wird es zum Unding, zum seelenlosen Feind. Die Story, von kaurismäkihafter Sprödigkeit und entsprechend wortkarg, bringt enorm verdichtete Bilder, raffiniert in Farben, Unschärfen und perspektivischen Fluchten.

Das alte Auto hat vielleicht mehr zu erzählen als das neue Auto, welches durch die Filmerzählung erst von seiner technologischen Aura erlöst werden muß (um der Werbung zu entkommen). Das ist dem Regisseur Ho Ping, Jahrgang 1958, gelungen, der drei Geschichten aus einer Nacht erzählt: von einem Limousinenfahrer, der in einem Anfall selbstmörderischen Wahns versucht, seinem Chef zu entkommen; von einem Busfahrer, der zur Geisel eines jungen Mannes wird und am Ende zu dessen liebenswürdigem Chauffeur; und von einer jungen Frau namens Jade, die einen Space Waggon stiehlt und für den Rest der Nacht mit dessen Besitzer über sein Handy zunehmend erotische Gespräche führt.

Die Autobahn ist für die Inauguration des Präsidenten am nächsten Morgen geschlossen worden, so daß der gesamte Nachtverkehr auf der Landstraße stattfindet, deren vernachlässigte Infrastruktur sich schlagartig belebt. Dazu gehört ein riesiger Wellblechcontainer, in dem vorn eine dröhnende Animationsbar Platz hat, während weiter drinnen ein Wohnmobil geparkt ist, in dem die diensttuende Hure wartet. Der gesamte Container allerdings sitzt auf einem Sattelschlepper, der zur Zeit und zur Unzeit davonfährt.

In „Wölfe heulen unter dem Mond“ gibt es keine Wölfe, aber ein distinktes Gefühl für die Materialität der Automobile, deren zum Teil bizarr beleuchtete Innenräume in der Nachtfahrt immer größer zu werden scheinen. Die Motorgeräusche sind ein gut Teil des Soundtracks. Einige der besten Einstellungen sind den durchbrochenen himmelblauen Sitzbezügen eines Mitsubishi Galant (solide Limousine) gedankt, die als Hintergrund des Fahrerportäts einen weichen Raum von unbestimmter Tiefe zeichnen. Mit viel Aufwand – Filmen von und in Autos ist eine teure Angelegenheit – beschreibt Ho Ping das Automobil als Freiheitsersatz, aber auch das Klaustrophobische der Situation hinter dem Lenkrad und die gnadenlose Hierarchie der Landstraße bis hinunter zu denen, die kein Auto haben.

Wie die meisten Forum-Filme wären auch diese drei mit einem strengeren Schnitt besser bedient gewesen. Aber der vierte Film, „Blood Guts Bullets & Octane“ ist genau um jene 87 Minuten zu lang, die der Film dauert. Es ist ein hektischer Verschnitt von farbigen und schwarzweißen Takes, in denen Autos, Waffen, Erschossene und Geld zur Schau gestellt werden. Im Zentrum stehen zwei ununterbrochen quatschende Autoverkäufer, einer von ihnen dargestellt durch den dümmlichen Filmemacher Joe Carnahan selbst, geboren im Jahr von Woodstock, was nicht geholfen hat.

Der Film ist eine tumbe Montage billiger Protzereien, nicht einmal ein schlechter Trip – nur der irrlichternde amerikanische Faschismus in Kunstverpackung. Das Auto taugt sehr wohl als Vehikel masturbatorischer Phantasien.

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