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Göttliches Loch im Käse

■ In der Vahr wird Gottes Wort auch mit unkonventionellen Methoden verkündet

Kirchen und Kneipen sind die letzten Orte, an denen sich große Wahrheiten zu Tage fördern lassen, ohne daß sich einer dem Verdacht der Lächerlichkeit aussetzen muß. Kirche und Kneipen sind die sakralen und profanen Schonräume des Bedeutenden. In beiden wird der Gang schleppender, die Sätze abgründiger, die Gedanken zäher und haltbarer. Sinnsuch -Orte, Plätze der Erbauungslust, Grabungsstätten nach dem Zweck des Ganzen.

Am Montag werden die Menschen wieder mit dem Vorsatz, ihre Straßenbahnen nicht zu verpassen, das Haus verlassen. Am Sonntag aber machen sie sich mit der Hoffnung, ihrem Leben eine feierliche Wende geben zu können, auf den Kirchgang. Gottesdienst als weihevolles Kontrastprogramm gegen das flüchtig und banal gewordene Leben, auf das von der Kanzel von oben auf Sinn gelegt wird wie die wärmende Decke auf einen fröstelnden Körper.

Wer in solcher Sonntagsstaats-Stimmung die Christuskirche in der Bremer Vahr betritt, wird vermutlich enttäuscht werden. Nichts von der weihevollen , lüsterschimmernden Pracht eines Raums, in dem Zeit stillesteht zur höheren Ehre eines ewigen Gottes. Hell ist es, zu hell und zu spröde der rhombenförmige Kirchenraum. Dazu die Liturgie, die jeden Anflug von sakraler Festlichkeit im Keim sabotiert. Statt der Dramaturgie eines religiösen Ritus herrscht fröhliche Unbekümmertheit einer refompädagogisch inspirierten Schulexkursion.

Umstandslos tritt Pastor Creemer nach dem Orgelvorspiel vor die Gemeinde und verkündet mit klassenbuchhalterischer Akribie erstmal nicht das Wort Gottes, sondern das Ergebnis der letzten Kollekte (30,35 DM), den Ausfall des Kindergottesdienstes während der Schulferien und den anschließenden Klönschnack für Interessierte im Gemeinde -Cafe.

Dafür ist die Vahrer Christuskirche wahrscheinlich auch eine der ganz wenigen in Bremen, in der eine ganze Predigt sich den Gemeinsamkeiten von Gott und Käseglocken widmen kann, nur um zu dem Ergebnis zu kommen: Es gibt gar keine. Im Gegenteil: Gott ist das Gegenbild einer Käseglocke.

Aber was ist die Käseglocke selbst, als deren radikale Opposition wir jetzt Gott kennen? Die Käseglocke ist unser Leben, sofern es träge, bequem und selbstgenügsam geworden ist. Gott ist der Loch in im Käse unseres Leben, (wobei ich einräumen muß: spätestestens ab hier schien mir das gewählte Bild in Schieflage zu geraten) ein Spalt zwischen privat bewußtlosem Dahindümpeln und in Unordnung geratener Welt. Weniger an-rüchig ausgedrückt: Gott ist der ständige Appell, uns der eigenen Geschichte innezuwerden. Die Chance, rückwärts zu gehen, um vorwärtszukommen. Wie das genau geht, habe ich auch nicht so ganz verstanden. Aber das es gut gemeint war, das war schon spürbar. In der Bibel, ist Pastor Cremer jedenfalls aufgefallen, heißt es vielmals: „Steh auf und geh!“ Abner nirgends steht: „Bleib sitzen und rühr dich nicht!“

Kirche und Kneipe - in der Vahrer Christuskirche liegen beide eben schon ziemlich dicht nebeneinander.

K.S.

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