: Göttingen gängelt Zensusgegner
■ Die Göttinger Verwaltung sperrte einem Arbeitslosenzentrum den vom Stadtrat beschlossenen Zuschuß / Mitarbeiter vermuten, daß ihre Institution mundtot gemacht werden soll
Aus Göttingen Reimar Paul
Ein dreistes Willkürstück gegen eine politisch unliebsame Einrichtung hat sich die Verwaltung der Stadt Göttingen geleistet. Mit der Begründung, es habe sich aktiv am Volkszählungsboykott beteiligt, wurde dem örtlichen Arbeitslosenzentrum die Auszahlung von 35.000 Mark aus dem städtischen Haushalt verweigert. Die Zuschüsse hatte der Stadtrat Ende März mit großer Mehrheit beschlossen. Doch das Arbeitslosenzentrum, das zumindest einen Teil seiner diesjährigen Beratungs– und Öffentlichkeitsarbeit damit finanzieren wollte, mußte sich gedulden. Zunächst führte die Stadtverwaltung zunächst finanzbürokratische Hemmnisse an, die einer Überweisung des Geldes entgegenstünden. Dann machte man Sommerpause. Erst am 9.September ging im Arbeitslosenzentrum ein Brief ein, in dem der städtische Sozialamtsleiter lapidar mitteilte, daß „der Kämmerer auf meinen Antrag“ die Freigabe der Mittel ver weigerte habe. Ein Grund wurde nicht genannt. Den lieferte Stadtdirektor Nickel (CDU) erst gegenüber der Presse nach: Das Arbeitslosenzentrum habe sich aktiv am Volkszählungsboykott beteiligt. „Durch eine finanzielle Unterstützung würden wir uns an Ordnungswidrigkeiten beteiligen.“ Tatsächlich hatte das Zentrum der Göttinger Initiative gegen die Volkszählung Räume für deren Öffentlichkeitsarbeit und zum Entgegennehmen von Fragebögen zur Verfügung gestellt. Eine finanzielle und organisatorische Veflechtung von Arbeitslosenzentrum und VoBo–Initiative bestand darüber hinaus jedoch nicht. Die Mitarbeiter des Zentrums vermuten, daß es der Stadtverwaltung um mehr geht als um Repression gegen Volkszählungsgegner. Eine unbequeme Institution solle trockengelegt und damit mundtot gemacht werden, weil sie entgegen allem Gerede vom konjunkturellen Aufschwung auf die zunehmenden sozialen und politischen Probleme der Massenarbeitslosigkeit hinweise und die Betroffenen darüber hinaus zu Selbsthilfe ermutige. Die Auseinandersetzungen um die 35.000 Mark gehen unterdessen weiter. Mit einem Initiativantrag hat eine Ratsmehrheit von SPD und GAL die Verwaltung aufgefordert, das Geld unverzüglich auszuzahlen. Stadtdirektor Nickel erklärte jedoch, er werde diesen Beschluß rechtlich überprüfen lassen und gegebenenfalls anfechten.
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