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Götterfunken, erdenschwer

■ Zur Sommerfrische in die Weser-Ems-Halle: Die Provinz rang erfolgreich mit Beethovens titanisch-dämonischer „Neunter“

Warum und zu welchem Zwecke besucht man eigentlich eine Aufführung der schon ein bißchen verbrauchten und häufig mißbrauchten 9. Sinfonie des großen Ludwig van Beethoven, und das in Oldenburg, wenn weder eine monumentale Supershow mit international gefeierten Pultheroen zu erwarten ist, noch tüftlerische Spezialisten sich anschicken, mit archäologischer Feinarbeit die revolutionäre Kraft des alten, verehrungswürdigen Querkopfes freizuschaufeln?

Lockt denn doch das Titanische, Übermenschliche und Dämonische (so der immer noch typische Einführungstext zu einer CD-Produktion mit Superweltstars), oder ist es die Neugier zu sehen, wie musikalische Provinz mit dem Mythos „Die Neunte“ fertig wird, deren Töne scheinbar bruchlos Hitlers Geburtstag und den Fall der Mauer gleichermaßen überhöhen und vergolden? Die zum Jubiläum der UNO erklingt, und unerschütterlich das Lob der Volksrepublik China verkündet? Die Neunte also, deren Message schließlich auch von der kreativen Elite unserer Werbebranche für geeignet gehalten wird, das langerwartete Erscheinen eines neuen Mittelklassewagens wirkungsvoll anzuzeigen und uns, zum „Song of Joy“ verdichtet, klarmacht, daß das Leben doch easy und irgendwie ganz okay ist?

Natürlich ist die Neugier, die uns dazu bringt, ins Auto (Entschuldigung) zu springen und durch den Oldenburger Frühling am vergangenen Sonntag zum 8. Sinfoniekonzert des Oldenburger Staatsorchesters zu eilen. Zumal sich der Bremer Domchor zur Mitwirkung verpflichtet hatte.

Im Oldenburger Land gibt es allerdings gerade nichts, was sich durch Beethoven befeiern ließe. Allenfalls den Wettbewerbsvorteil, den heimische Viehzüchter durch das Einfuhrverbot für britisches Rindfleisch bei der Vermarktung ihrer Rindviecher erzielen. Aber Oldenburg hat mittlerweile einen Konzertsaal in der Weser-Ems-Halle, der zwar den Charme einer Viehauktionshalle nicht gänzlich verleugnen kann, der aber akustisch ganz passabel ist. In ihr findet jeder Ton seinen Platz, ist hörbar, nichts verschwimmt – aber kalt und trocken klingt die Halle schon.

Der fehlenden akustischen Wärme setzt Oldenburgs Generalmusikdirektor Reinhard Seifried diesmal einen massigen Streicherapparat von geradezu karajanschen Dimensionen entgegen und füllt damit optisch das cinemascope-breite Podium und akustisch die mächtige Halle. Ergebnis: ein durchaus gewaltiges, aber nicht erschlagendes instrumentales Getöse.

Mit dieser starken Besetzung ist natürlich auch der Weg der Interpretation festgelegt. Seifried liest Beethovens Partitur eher mit den Augen des späten Bruckner als mit denen des Zeitgenossen Berlioz. Der wild zerrissene, teils chaotische Orchestersatz, der mächtig an den tragenden und musikalischen Gestalten zerrt, glättet sich, wird voll und rund. So sind die Holzbläser nur noch als dezenter Bestandteil einer wohlabgerundeten Farbmischung zu vernehmen. Ihrer Funktion, provokant und unbekümmert mit Gassenhauern und anderem recht ordinärem Gedudel das dämonisch-erhabene Getümmel der Ecksätze aufzumischen, können sie so nicht mehr gerecht werden.

Daß die Aufführung trotzdem nicht zur weihevollen Feierstunde verkam, lag an den zwar nicht übermäßig schnellen, aber durchweg eher zügigen Tempi und an der präzisen Durcharbeitung des musikalischen Geschehens. Die oft zugunsten der Klangwirkung in der Totalen vernachlässigten Nebenstimmen gewannen unerwartet Eigenleben und waren in ihrer vertrackten Rhythmik und Melodik wohl vernehmbar. Und die Pauke, die zu loben ich den Auftrag von meiner Ältesten habe, setzte sich häufig mit präzisen, engagiertem Schlag wirkungsvoll in Szene.

Im Finalsatz, der – wie immer – die höchst angebrachte kritische Distanz dahinschmelzen läßt wie Zitronensorbet in der Wüste, wußte das Solistenquartett, flankiert von Altstar Helen Donath und Jungstar Reinhard Hagen (Baß), der kurzfristig eingesprungen war, mit Konzentration und kunstvoll ausgearbeitetem Jubel zu überzeugen.

Wunderbar kontrastierte hierzu der durch den Oldenburger Opernchor verstärkte Bremer Domchor mit farbenreichem, voluminösem, gleichzeitig aber beglückend naivem Klang. Die Chöre zeigten sich auch den rücksichtslosen Forderungen der Partitur gewachsen, wenn Beethoven Sternenzelt und Götterfunken nach den Regeln der musikalischen Kunst durchdekliniert. Leider wurden die gesalbten Kehlen des Domchors dabei von zwei Seiten in die Zange genommen, so daß sich deren Artikulations- und Differenzierungskunst nicht voll entfalten konnte. Der Klangmacht des Orchesters fiel doch einiges zum Opfer. Und die Opernprofis haben sich zuweilen recht kräftig Gehör verschafft. So mischte sich dem glasklaren Stimmkörper unserer lieben Domchorfrauen ein opernhaftes Vibrato bei, das sich an der Sangeskunst des Solistenquartetts orientierte und so die Rollen und Funktionsverteilung zwischen Chor und Solisten zuweilen verwischte.

Beethoven in der Provinz lohnte den logistischen Aufwand. Übermenschlich, titanisch und dämonisch konnte es schon wegen des auf den Mittelweg setzenden Dirigats und wegen des bodenständigen Oldenburger Ambientes nicht werden. Und Neues konnte auch nicht entdeckt werden. Aber „cool“, wie meine Älteste, eine Verehrerin von Michael Jackson und der Toten Hosen, meint, war's allemal. Mario Nitsche

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