■ Godot in Sarajevo: Susans Liste?
Inzwischen gibt es eine regelrechte Ikonographie für Filmbilder aus Sarajevo: die mit Wasserkanistern an Hauswänden entlanghuschenden Zivilisten, die Synagoge neben der katholischen und der orthodoxen Kirche, die Skelette der Hochhäuser, die Unprofor-Tanks und die Blutlachen in der Morgue. Dazu aus dem Off eine Stimme, die mehr oder weniger mühsam Empörung und professionelle Erfordernisse zu balancieren sucht. Der Film aber, der vorgestern abend im Berliner Martin-Gropius-Bau gezeigt wurde, enthält ein ähnliches Surplus wie „Bosna!“ von Bernhard- Henri Lévy: In Nicole Stéphanes Dokumentation „En Attendant Godot à Sarajevo“ wird mit dem Versagen der Politik die Notwendigkeit einer gewissen Form des Kulturheroismus konstatiert.
Stéphane, Schauspielerin, Regisseurin, Produzentin, kannte Susan Sontag von einem gemeinsamen Filmprojekt über den Jom-Kippur-Krieg. Ihre Zusammenarbeit wird zusätzlich dadurch mit Bedeutung aufgeladen, daß Nicole Stéphane, Tochter eines berühmten Résistance-Kämpfers, die Rolle der schweigenden Nichte in Jean-Pierre Melvilles „Le Silence de la mer“ (1948) gab, dem filmisch avantgardistischen Gegenstück zu Cléments Widerstandsfilm „La Bataille du rail“ (1945), ohne das weder Godard noch Chabrol oder Duras denkbar gewesen wären. Melvilles Film war das Porträt eines höchst kultivierten SS-Mannes, dem im Krieg die grande illusion zerplatzt, Hitlers Anliegen könne die brüderliche Handreichung von Goethe zu Racine sein. Eine strahlende Verbindung entsteht so: Die Résistance aus kulturellem Impuls, Malraux, der Spanische Bürgerkrieg, das „J'Accuse“ paart sich mit der New Yorker Antikunstkritik, die Camp, Syberberg und Pornographie bejaht und die Metaphorisierung von Krankheit ablehnt. Seit langem schon will die Sontag aber nicht mehr als Kritikerin firmieren; sie hat, bislang ein wenig glücklos, versucht, ihre Version des Nouveau Roman zu schreiben.
Zu Beginn von Stéphanes „En attendant...“ steht das Interview mit einem Schauspieler, der berichtet, wie er beide Beine verloren hat, und dem aber erst die Stimme bricht, als er von dem Mut spricht, den Susan Sontag ihnen gemacht hat, indem sie mit ihnen arbeitete – bei Kerzenlicht und mit Schauspielern, deren Leben stets gefährdet ist, weil sie Bürger von Sarajevo sind. Von der Inszenierung selbst wird nur soviel deutlich, als daß Becketts Stück offenbar seiner humoresken Seite entledigt ist. Was statt dessen sehr deutlich wird, ist die immer und immer wieder ins Bild gesetzte völlig ironiefreie Mama- Leone-haftigkeit, mit der die würdig ergraute Sontag den Schriftsteller Nedzad Gibrisimović wie den PEN-Club berät und schließlich, es war kaum zu fassen, eine Mutter mit zwei Kindern von der Straße weg nach Amerika rettet. Diese beiden sind in Sicherheit, den Schauspielern ist in der Tat mit der Normalität geholfen – aber ein Hauch Beckettschen Understatements hätte überhaupt gar nicht geschadet. Mariam Niroumand
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