: Gnadenschuß für die Frau
Alice Schwarzers Buch über den Fall Bastian/Kelly stellt die entscheidende Frage: Warum nur hat sich die Öffentlichkeit so sehr auf die „Doppelselbstmord“-These eingelassen? Wo es doch Mord war ■ Von Elke Schmitter
Vermutlich fälschlicherweise wird Napoleon eine ehrliche Definition der Geschichte zugeschrieben: Diese sei „die Lüge, auf die man sich geeinigt hat“. Lange vor der Erfindung der Ideologie hatten ihre Handwerksmeister sie also auch begriffen, und seitdem überschlagen sich nicht nur die Ereignisse, sondern auch ihre Zurichtungen. Nur wenigen aber ist es vergönnt, mit Geistesgegenwart einen langen Blick in die Werkstatt der Ideologie zu tun (Abteilung Dämpfungs- und Beruhigungsmittel) und mit einem Beipackzettel in der Hand, und unbetäubt, wieder herauszukommen; Alice Schwarzer ist das gelungen.
Schwarzer hat sich als feministische Journalistin mit dem Todesfall Kelly/Bastian beschäftigt, der am 1. Oktober vergangenen Jahres geschah und bis zum 19. desselben Monats unentdeckt blieb. Nachdem einige Tage lang Verfolgungstheorien allerlei Art durchgespielt und diskutiert worden waren, gab es schnell Klarheit über den wirklichen, den intimen Verlauf. „Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft Bonn steht fest, daß die tödlichen Schüsse von Gert Bastian abgegeben worden sind. Mit seiner Pistole Derringer tötete er die im Bett liegende Petra Kelly mit einem aufgesetzten Schuß in die Schläfe. Anschließend nahm er sich selbst mit einem am Scheitel aufgesetzten Kopfschuß das Leben.“ Dies sind die Ereignisse. Ihre Erzählung aber lautet auf „Doppelselbstmord“: „Auch das Fehlen eines Abschiedsbriefs“, so der gutachtende Oberstaatsanwalt, „gibt keinen Anlaß, an dem Selbstmord der beiden ehemaligen Bundestagsabgeordneten zu zweifeln.“
Der Mann befindet sich in der allgemeinsten Gesellschaft. Sowohl die Grünen als auch die Öffentlichkeit verständigen sich hurtig und beinahe widerspruchslos auf diese phantasievolle Rekonstruktion. Äußerungen von Bastian werden kolportiert, in denen dieser die Erschöpfung der Beziehung beklagte, Freunde bestätigen die „totale Erschöpfung“ der Grünen-Politikerin, ihre Angewiesenheit auf Bastians Fürsorge, ihre Aussage, ohne ihn „nicht mehr leben zu können“. Nicht nur für die Staatsanwaltschaft, faßt Schwarzer die Verfälschung eines Mordes zum Doppelselbstmord zusammen, „scheint der von Kelly vielfach geäußerte Satz ,Ich kann ohne Gert nicht mehr leben‘ zwingend identisch mit dem Verlangen: ,Bitte bring mich um.‘“
Da Schwarzers Buch nicht nur mit Hinweisen auf die in Vergessenheit geratene dialektische Beziehung von Politik und Privatem gespickt ist, sondern auch mit einem Geständnis schließt, darf die Rezensentin es an öffentlicher Selbstkritik naturgemäß nicht fehlen lassen: Auch ihr wurde erst durch Schwarzers offensive Arbeit bewußt, daß sie sich unbewußt der öffentlichen Meinung angeschlossen hatte; auch sie hätte spontan von „Doppelselbstmord“ gesprochen; auch bei ihr überwog die Anfälligkeit für die tragisch-romantische Variante à la Kleist vor der Erinnerung an das Faktum, das schlicht lautet: Mann tötet Frau.
Daß es sich bei der Frau um eine Pazifistin und wortreiche Feministin handelte, bei dem Mann um einen General a.D. und beredten Pazifisten, daß er eine Vaterfigur darstellte, während sie trotz ihrer zähen Energie als fragil und mädchenhaft wahrgenommen wurde, daß bei beiden das Private auf wenig förderliche Weise im Politischen aufging – all diese Antagonismen und spektakulären Offensichtlichkeiten haben auf die Medien überraschenderweise einen eher dämpfenden Effekt gehabt. Schwarzer spricht von einer „auffallend differenzierten“ bürgerlichen Presse; ich erinnere mich an Momente ungewohnter Erstarrung auf den Konferenzen der taz und an halb- und ganz laut geäußerte Befürchtungen, dem Faszinosum dieses Falles selber zu erliegen: beider Tod, das war so etwas wie ein Spion in der Politredaktion – da haucht einen der Weltgeist an, das rührt, und man fühlt sich wichtig. Vermutlich in Abwehr dieser Yellow-Press-Bedürfnisse verhielten sich die ernstzunehmenden Medien insgesamt eher diskret – und verfielen auf der Flucht ins zivile Vorn der kleisternden Romantik, die hier nicht Überhöhung, sondern Lüge war.
Es ist nicht Alice Schwarzers Anliegen, mit einer neuen Rekonstruktion des Falles aufzuwarten – obwohl sie mit einer solchen in einer Kurzfassung, die ihr Talent als short-crime-story-teller beweist, ihr Buch beginnt. Ihr Ehrgeiz ist verdienstvoller und schlichter: Sie will die Wahrheit nicht durch Hinzufügung, sondern durch Reduktion ermitteln. Michelangelo – um mit einem zweiten großen Mann zu paradieren – soll einmal gesagt haben, Bildhauerei sei ganz einfach: „Man nehme einen Stein und schlage alles weg, was nicht so aussieht wie das Modell.“ So verfährt Schwarzer, und das Ergebnis rechtfertigt ihre Methode. Seite um Seite trägt sie die Legenden ab, die sich um den Tod der beiden gebildet haben, sachlich, aber unerbittlich führt sie auf, wer ganz schnell mitschrieb am Libretto Große Oper: die grüne Partei, die eine gemeinsame Trauerfeier für Täter und Opfer inszenierte; der Spiegel mit seinem gerichtspsychiatrischen Sondergutachten, in dem der Mord als letzte Liebestat gedeutet wurde; der Pfarrer Zink am Grab, für den Kelly, „diese lebensvolle Frau“, „in den Tod gegangen“ ist; der Psychoanalytiker Horst Eberhard Richter, der „das Unverständliche in Achtung“ hinzunehmen auffordert, die Zeit, die eher widerwillig einräumt: „Selbst wenn er sie ohne Verabredung zum gemeinsamen Selbstmord erschossen haben sollte ... Wer darf einen Gert Bastian verfluchen, der Petra Kelly wie eine Kranke durch die letzten Jahre führte?“ Schwarzer räumt ein, daß geschlechterübergreifende Motive wie beispielsweise Pietät eine euphemisierende Wirkung gehabt haben können. Aber: „Stellen wir uns einmal für Sekunden das Drama umgekehrt vor: Petra Kelly erschießt nach zwölf Jahren Beziehung Gert Bastian im Schlaf und tötet dann sich selbst. Wie hätte die Familie von Gert Bastian reagiert? Wie seine Freunde? Wie die alten Militärs und wie die neuen Politiker? Wie die Öffentlichkeit? Hätte die Mörderin Kelly so mit Verständnis rechnen dürfen wie der Mörder Bastian?“
Es gibt wirkungsvolle Fragen, deren Antworten selbstverständlich sind; Schwarzer hat sie gestellt, und darin liegt die Bedeutung ihres Buches. Ihre psychologische Beschreibung der Beziehung Kelly/ Bastian, deren Verknüpfung mit soziologischen und historischen Erwägungen ist eher schlicht als subtil, und ein aufmerksames Lektorat hätte keineswegs geschadet. Bezogen aber auf den Anspruch, den sie mit ihrem Buch stellt, sind dies tatsächlich Nebensächlichkeiten: Wer Geschichte korrigieren will, bevor sie die Weihe des Ewigen hat, muß schnell und wirkungsvoll sein. Schwarzer gegen Napoleon: eins zu null für die Dame.
Alice Schwarzer: „Eine tödliche Liebe · Petra Kelly und Gert Bastian“. K & W, Broschur, 180 S., 26DM
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