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Gnadenfrist für Abschiebehäftling

■ Der Libanese Ali Kemal Ajoub in Frankfurter Abschiebehaft / AL–Abgeordnete: „Menschenunwürdiges Vorgehen“ der Polizei / Haftbefehl in Berlin vergessen / Anwälte wollen Abschiebung am Freitag verhindern

Von Martin Wollenberg

Berlin (taz) - Der Asylbewerber Ali Kemal Ajoub, der sich letzte Woche in Frankfurt vor dem Flug nach Beirut die Bauchdecke aufgeschnitten hatte, wird möglicherweise am Freitag endgültig in den Libanon abgeschoben. Bis Mittwoch haben ihn die Ärzte der Flughafenklinik für flugunfähig erklärt. Ajoub befindet sich derzeit in Frankfurt in Abschiebe haft. Ein Pfarrer, der sich um seine Belange kümmern wollte, wurde zum Häftling nicht vorgelassen. Die AL–Abgeordnete Brunhild Enkemann berichtete unterdessen von „menschenunwürdigem Vorgehen“ der Frankfurter Polizei, die den Libanesen nach seiner Entlassung aus der Flughafenklinik in Empfang nahm. Ajoubs Rasierklingenschnitte in der Bauchdecke waren in der Klinik unter Narkose genäht worden. Er wurde bereits kurz nach der Operation aufs Polizeirevier am Flughafen gebracht und mußte dort, kaum aus der Narkose erwacht, auf einer Bank sitzen. Auch dringende Appelle der AL–Abgeordneten, dem Libanesen eine Trage zur Verfügung zu stellen, fanden bei den anwesenden Ordnungshütern und den beiden Berliner Zivilbeamten, die den Flug des Libanesen nach Frankfurt begleitet hatten, kein Gehör. Nur die Verlegung des Asylbewerbers in eine Zelle im Keller wurde von der Polizei angeboten, was die AL–Abgeordnete wegen der psychischen Situation von Ajoub ablehnte. Dafür mußten sich die Beamten offenbar um so intensiver um die Beschaffung eines Haftbefehls für die Festsetzung des Libanesen in Abschiebegewahrsam kümmern. Die AL–Abgeordnete beobachte „hektisches Herumtelefonieren“. Einer der Polizeibeamten erläuterte ihr, der Haftbefehl würde „nachgereicht“. Brunhild Enkemann sieht darin einen Beweis für „die behördlich gewollte schnelle Abschiebung, mit der ein Exempel statuiert werden soll, was dann zu Schlampigkeit führte“. Ajoub wird derzeit in Berlin und Frankfurt von mehreren Rechtsanwälten vertreten. Da eine Klage gegen die Abschiebung des Libanesen noch nicht rechtskräftig entschieden wurde, ist Ende Mai beim Berliner Verwaltungsgericht ein Antrag auf „aufschiebende Wirkung“ des Abschiebungsbeschlusses gestellt, vom Gericht allerdings zurückgewiesen worden. „Aufgrund der veränderten Umstände“ beantragte Ajoubs Anwalt Kierzynowski in Berlin eine nachträgliche Veränderung des letzten Negativbescheids. Inzwischen liegt ihm eine Zusicherung vor, daß Ajoub vor Freitag nicht abgeschoben wird. Wenn das Verwaltungsgericht erneut den Abschiebebeschluß bestätigt, dürfte Ajoub ein Platz in der Freitagsmaschine nach Beirut sicher sein.

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