: Glückliche DDR
■ Warum hauen die Leute von dort eigentlich ab?
Erich Honecker hatte dem stellvertretenden amerikanischen Außenminister Whitehead am Dienstag noch versichert, die DDR sei ein stabiles Land und die Menschen dort seien „glücklich“. Unglücklicherweise hat das jemand drüben nicht mitbekommen und versuchte in der Nacht zum Mittwoch, über die Grenze nach West-Berlin zu fliehen. Das meldete der Senat unter Berufung auf mehrere Augenzeugen, die in Düppel Schüsse und „Halt! Stehenbleiben!„-Rufe sowie weitere Aktivitäten der DDR-Grenzer beobachtet hatten. Der Fliehende konnte von Westen aus nicht beobachtet werden. Hoffentlich hatte er Glück und ist noch am Leben. Vielleicht haben glückliche Umstände dazu geführt, daß ein NVA-Soldat gezielt daneben schoß und sein Vorgesetzter nichts bemerkt hat. Denn der Befehl lautet immer noch, daß niemand lebend über die Mauer soll, um hier etwa zu erzählen, daß er drüben doch nicht so glücklich war, wie Honecker behauptet. Es zeugt von hohem moralischen Niveau und unendlicher Fürsorge, daß der Staatschef der DDR seine glücklichen Menschen mit der Kalaschnikoff davon abhält, nach Westen zu fliehen, um sie nicht ins hiesige Unglück laufen zu lassen.
Thomas Rogalla
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