: Global denken – richtig wählen
■ Sieben Organisationen aus Entwicklungs- und Umweltbereich legen mit „Wahlcharta '94“ Prüfsteine vor
Bonn (taz) – Das große Vorbild sind die Männer und Frauen, die im ehemaligen Ostblock von ihren Regierungen die Beschlüsse der KSZE-Konferenz von Helsinki einklagten. Aber während es der „Charta '77“ um Bürgerrechte ging, fragt die „Wahl-Charta '94“ die deutschen Kandidatinnen und Kandidaten nach den Versprechungen, auf die sich die Teilnehmerstaaten der Konferenz von Rio 1992 geeinigt haben. Die gestern in Bonn vorgestellten Wahlprüfsteine haben sieben Organsationen aus dem Entwicklungs- und Umweltbereich gemeinsam erarbeitet, darunter terre des hommes, Germanwatch und der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND).
Im Wahljahr 1994 legen die Nicht-Regierungsorganisationen damit zum ersten Mal Maßstäbe vor, die sich auf allen politischen Ebenen anwenden lassen – bei Kommunal- ebenso wie bei Landtags-, Bundestags- und Europawahlen. Der Anspruch ist hoch: „Nur dadurch, daß Menschen sich einmischen, bekommen Menschen weltweit eine Chance zum Überleben und kann der Planet gerettet werden“, erklärte Klaus Milke von Germanwatch. Die 30seitige Charta soll Wählerinnen und Wähler in die Lage versetzen, Zusammenhänge zu erkennen und die Politiker zu fordern.
In der wirtschaftlichen Krise drohten die Einsichten von Rio vergessen zu werden, klagte BUND-Vorstandsmitglied Angelika Zahrnt. Man müsse den Wahlkampf nutzen, um eine breite Debatte über eine Entwicklung der Bundesrepublik hin zu einem „Sustainable Germany“ zu entfachen. Darunter versteht Zahrnt eine Reform des Industrielandes Bundesrepublik hin zu einer Wirtschafts- und Lebensweise, die „allen anderen Menschen auf der Welt auch in zukünftigen Generationen Lebenschancen erhält“.
Zu den vier Hauptzielen der „Charta“-Autoren gehören die Umsetzung der Beschlüsse von Rio, eine Reform der Gatt-Bestimmungen nach sozialen und ökologischen Kriterien, die Verabschiedung eines Einwanderungsgesetzes und die Schaffung besserer Lebensbedingungen für Flüchtlinge sowie schließlich eine Reduzierung der Rüstungsausgaben und Verschärfung der Waffenexportrichtlinien.
Erstes Erprobungsfeld der Prüfsteine ist das Land Niedersachsen, wo der Wahlkampf am Wochenende begonnen hat. An der Diskussion soll nicht nur das der „Charta“ politisch nahestehende Bündnis 90/Grüne teilnehmen, sondern auch Kandidatinnen und Kandidaten anderer Parteien. Hinsichtlich der Wirkung des vor allem an Multiplikatoren gerichteten Prospekts ist Klaus Milke optimistisch: „Die Bereitschaft der Bevölkerung, sich diesen Fragen zu stellen, ist viel höher als gemeinhin angenommen wird.“ mon
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