Gleichberechtigung bei der Polizei: "Jeder Abschnitt bekam eine Frau"
Vor 30 Jahren traten die ersten 24 Schutzpolizistinnen in Berlin ihren Dienst an. Mit dabei: Waltraut Woytnik, kurz darauf auch Bettina Raak. Ein Gespräch über das späte Ende einer Männerdomäne.
taz: Frau Woytnik, Sie gehörten zu den ersten 24 Schutzpolizistinnen, die vor 30 Jahren ihren aktiven Dienst angetreten haben. Warum sind Sie Schutzpolizistin geworden?
Waltraut Woytnik: Ich befand mich damals in der Scheidungsphase, hatte zwei Kinder und dachte, ich muss meine berufliche Position festigen. Ich war zuvor Politesse, und plötzlich gab es die Chance, diesen Lehrgang zu machen. Was man eigentlich mit uns vorhatte, war noch unklar. Es hieß nur, erst mal machen die Frauen den gleichen Lehrgang wie die Männer - außer Marschieren, Boxen und mit Maschinengewehr schießen.
Sie sind also eher so reingerutscht?
Woytnik: Ich wusste, dass ich das machen will. Aber was dann wirklich auf mich zukam, wusste ich nicht. Der Lehrgang ging immer bis 17 Uhr. Danach musste man noch einkaufen und die Kinder versorgen, und der Haushalt musste gemacht werden. Und dann jeden Tag lernen. Die Gesetzestexte musste man ja auswendig lernen. Also habe ich auf Band gesprochen. Wenn ich nach Spandau zur Schule gefahren bin, Kassette ins Auto; beim Abwaschen, überall nur das Band. Es wurden ja Arbeiten geschrieben, Prüfungen abgelegt.
Frau Raak, als Frau Woytnik gerade fertig war, haben Sie Ihre Ausbildung begonnen. Was hat Sie dazu bewogen?
Bettina Raak: Ich wollte sowieso zur Polizei. Als ich die Realschule abgeschlossen hatte, wollte ich zur Kriminalpolizei. Aber dann kam der Umbruch in die zweigeteilte Laufbahn bei der Kripo [die bisherige Einheitslaufbahn, bei der auch künftige Kripo-Beamte zunächst die Ausbildung der Schutzpolizei absolvierten, wurde aufgegeben, d. Red.], und mein Zeugnis war nicht so sehr gut. Ich bin also auf die Fachoberschule gegangen und habe dann als Verwaltungsangestellte bei der Polizei begonnen. Als offiziell gesagt wurde, es werden auch weiterhin Frauen eingestellt, da habe ich mich beworben und 1980 angefangen.
67, gehörte zu den ersten 24 Frauen, die in Berlin als Schutzpolizistinnen ausgebildet wurden. Im Alter von 35 Jahren hat sie mit der Ausbildung begonnen. 2003 ging sie im Rang einer Polizeihauptkommissarin in den Ruhestand.
Die Kleidung und die Ausstattung für die Frauen waren ja anfangs etwas dürftig und merkwürdig …
Woytnik: Wir hatten zwei Kolleginnen in unserem Zug, die so ein bisschen die Mannequins waren. Bei denen hatte man Maß genommen. Weil es wohl so gut aussah, hatte man kleine Brusttaschen aufgesetzt; aber für ein Merkheft, Kugelschreiber oder Ähnliches war kein Platz. Das haben wir bemängelt. Unsere Röcke und Hosen boten keine Möglichkeit, den Schlagstock unterzubringen. Also gabs dafür Karabinerhaken, und dann hing hinten am Gurt der Schlagstock. Sah natürlich "toll" aus. Und war auch hinderlich.
Raak: Unsere Uniformhemden und -jacken hatten hinten - wohl weil es schicker aussah - eine eingenähte Falte. Wenn man damit den Verkehr regeln wollte, ist diese Falte aufgebrochen und man sah aus wie Fantomas auf der Flucht. Auf unsere Beschwerden hin wurden die nächsten Hemden und Jacken dann hinten zugenäht. Die Uniform hat zu 80 Prozent keiner Frau gepasst und musste noch mal umgeändert werden. Danach waren immer noch rund 50 Prozent vernäht. Bei den Röcken hatte man sich so geschickt angestellt, dass die untere Falte bei dem erhöhten Einstieg in die Funkwagen-Bullis gleich aufgerissen ist. Also musste man den Rock immer hochschieben und hatte dann einen halben Minirock an.
Die ersten 24 Frauen, die aus der Ausbildung kamen, galten ja als Exoten. Wie haben Sie diese Situation erlebt?
Woytnik: Jeder Abschnitt bekam nach Möglichkeit eine Frau, und weil wir so wenige waren, wurde man bestaunt. Ich hatte das große Glück, in eine Schicht zu kommen, wo die Männer mich akzeptiert und auch unterstützt haben. Wir hatten einen Wachleiter, der hat das so geregelt, dass jeder mal mit dem anderen Streife fahren musste. Nur einmal kam ein junger Kollege von der Einsatzbereitschaft [geschlossene Einheiten, das Berliner Pendant zur Bereitschaftspolizei, d. Red.], der gesagt hat: "Mit nem Weib fahr ich nicht!" Da hat mein Wachleiter gesagt: "Wer mit wem fährt, bestimme ich." Also musste er mit mir fahren, und danach wollte er immer mit mir fahren. Ich habe natürlich gehört, dass manche nicht so ein Glück hatten und die Männer nicht mit den Frauen fahren wollten, weil sie Angst hatten, dass sie zusätzlich noch auf die Frau aufpassen müssten.
Das mussten sie natürlich nicht.
Woytnik: Manchmal habe ich Sachen gemacht, wo die Kollegen mich hinterher angemeckert haben, weil ich zu forsch gewesen sei, ohne auf die Eigensicherung zu achten. Einerseits gab es so n bisschen Jagdtrieb, andererseits die Überlegung: "Wenn du jetzt sagst, ich mach das nicht, heißt es ,Eh, die traut sich nicht'." Also machte man viele Sachen, die ein Mann vielleicht nicht oder anders gemacht hätte. So sagte man sich als Frau immer: "Du musst jetzt besser sein. Die denken sonst, du bist zu feige oder so." Man wollte ja gleichwertig sein.
Wie sind Sie bei der Bevölkerung angekommen: Hat man Sie ernst genommen?
Woytnik: Ja, ich denke schon. Viele fanden es sogar gut, wenn eine Frau dabei war. Bei Familienstreitigkeiten oder Todesnachrichten.
Raak: Bei der Bevölkerung war es anfangs so, dass, wenn ich ankam, ich angeguckt wurde, als hätte ich Reizwäsche an. Weil es einfach noch zu wenige waren.
Haben Sie jemals innerhalb der Behörde Negativerlebnisse gehabt?
Raak: So was gibts immer, aber im Grunde war es wirklich eine schöne Zeit. Es war anders als heute. Der Teamgeist wurde großgeschrieben. Wenn die Männer sich erst mal an die Kollegin gewöhnt und gemerkt hatten, das ist keine, die gleich wegrennt, dann war es wirklich ein sehr angenehmes Arbeiten. Ganz zu Beginn hatten die Gruppenführer wohl Angst vor uns …
Woytnik: … die wussten anfangs gar nicht, wie sie mit uns umgehen sollten. Die hatten bis dahin ja nur junge Männer in der Ausbildung.
Raak: "Oh, jetzt dürfen wir keine zweideutigen Sachen mehr sagen. Dann gibt es gleich ne Anzeige und so." Aber wir waren ja schon älter und haben es teilweise geschafft, dass die rote Ohren gekriegt haben.
Woytnik: Eigentlich hatten die Ehefrauen der Kollegen zunächst mehr Angst vor uns als die Männer. Wir waren ja rund um die Uhr mit ihren Männern zusammen im Dienst. Aber das hat sich dann auch schnell gelegt.
Wie sah es mit Beförderungschancen aus: Gab es da Unterschiede?
Woytnik: Jedenfalls nicht bei uns. Sicherlich gab es da den einen oder anderen Kollegen, der gesagt hat: "Eh, du bist schon Hauptmeister, und ich warte schon so lange." Aber die neiden das dann auch anderen, weil sie meinen, sie sind besser.
Zumindest bis zum Jahr 2000 hatten es gerade einmal neun Frauen bis in den höheren Dienst - die oberste Führungsebene der Polizei - geschafft; allesamt Seiteneinsteigerinnen, die vorher vorzugsweise Jura studiert hatten.
Woytnik: Dazu muss man aber auch sagen, dass es schon altersmäßig keine von uns geschafft hätte, denn waren wir ja alle Lebensältere.
Raak: Also ich weiß von einer Kollegin aus dem Lehrgang nach mir, die ist jetzt im höheren Dienst. Es gibt schon welche, die aufgestiegen sind. Aber wenige, das stimmt schon. Ich habe auch einen Aufstiegslehrgang gemacht und bin jetzt als stellvertretende Dienstgruppenleiterin in einer Führungsposition. Ich bin nicht schlechter behandelt worden, was Beförderungen angeht. Aber es ist wohl schon so, dass eine Frau mehr machen muss als ein Mann, um anerkannt zu werden. Ein Fehler, den ein Mann macht, der wird eher verziehen als ein Fehler, den eine Frau macht. Das ist immer gleich in aller Munde.
Frau Raak, Sie haben jetzt noch elf Jahre vor sich. Sie können auch die Gegenwart beurteilen. Haben die Frauen es heute leichter?
Raak: Ja, weil es eingespielter ist.
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