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GleichbehandlungKeine Arbeit ohne rechten Glauben

Für die Evangelische Stiftung Alsterdorf in Hamburg kümmerte sich Christina Hansen* um Behinderte. Bis zu dem Tag, an dem die Personalabteilung herausfand, dass sie der falschen Kirche angehört. Ob ihr das Gleichbehandlungsgesetz hilft, ist offen.

Die zwölf Jünger beim letzten Abendmahl: Neuapostolische Christen glauben, dass ihre heutigen Apostel ähnlich wirken. Bild: DPA

Christina Hansen* hat als Aushilfskraft behinderte Menschen für die Evangelische Stiftung Alsterdorf betreut. Seit Anfang Januar ist damit Schluss: Die Hamburger Stiftung lässt sie nicht weiterarbeiten, weil sie den falschen Glauben hat.

Mitte Dezember erhält Christina verspätet einen Personalfragebogen der Stiftung Alsterdorf. Gewissenhaft füllt sie ihn aus, auch das Feld mit der Frage nach ihrer Konfession: neuapostolisch. Knapp drei Wochen später ruft die Stiftung bei ihr an: Man könne Christina nicht weiterbeschäftigen, da sie nicht Mitglied einer christlichen Kirche sei. Das sei nun mal Pflicht und stünde auch so im Vertrag. Die Neuapostolische Kirche (NAK) sei eine Sekte. Wolle sie bleiben, müsse sie austreten. Christina ist geschockt, verweist jedoch auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG, siehe Kasten).

Gleichbehandlungsgesetz

Im August 2006 hat der Bundestag das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) beschlossen. Es stärkt vor allem die Rechte der Arbeitnehmer im Sinne von Artikel 3 des Grundgesetzes. Dieser gilt inzwischen seit knapp 60 Jahren: Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. (…) Unter Paragraph 9 des AGG werden den Kirchen sowie deren Einrichtungen Sonderrechte eingeräumt, da es sich bei ihnen um so genannte Tendenzbetriebe handelt. Stellt eine bestimmte Religion oder Weltanschauung für den Arbeitgeber zur Wahrung seines Selbstbestimmungsrechts eine gerechtfertigte berufliche Anforderung dar, so kann ein Bewerber aufgrund seiner Konfession abgelehnt werden. Das gilt beispielsweise für den Beruf des Pastors oder Gemeindepädagogen.

Ob sie sich darauf berufen kann, ist umstritten. Personalleiter Wolfgang Nipken pocht auf den Tarifvertrag, der eine Ausnahme für konfessionelle Einrichtungen vorsehe. Norbert Proske von der Gewerkschaft Ver.di behauptet das Gegenteil: Es gebe zwei unterschiedliche Tarifverträge - einen für Kirchen und einen für Diakonien. Letzterer sehe eben nicht vor, dass Beschäftigte einer christlichen Kirche angehören müssten. Proske empört zudem, "dass die Kirchenzugehörigkeit so eng ausgelegt wird."

Bis zum Rausschmiss war alles ganz gut gelaufen für Christina: Im September 2008 zog die 24-Jährige nach Hamburg, um eine Ausbildung zur Ergotherapeutin anzufangen. Das Geld war knapp. Klar, dass sie sich freute, bei der Stiftung Alsterdorf arbeiten zu können.

Dank ihrer Ausbildung zur Heilerziehungshelferin kümmerte sie sich dort seit November um Wohngruppen von Menschen mit geistiger oder körperlicher Behinderung. Christina gab ihnen "lediglich Hilfe zur Selbsthilfe", wie sie sagt. Die Arbeit gefällt ihr, die Kollegen schätzen sie. Die Behinderten vermissen Christina bereits jetzt.

Gemeinhin wird im Zusammenhang mit Kirchen und deren Einrichtungen von so genannten verkündigungsnahen und verkündundigungsfernen Tätigkeiten gesprochen. Pastoren und Gemeindepädagogen zum Beispiel zählen zur ersten, Krankenpfleger und Reinigungskräfte zur zweiten Kategorie. Denn nicht jeder Angestellte hat zur Aufgabe, die religiösen Werte des Arbeitgebers zu verkünden oder christliche Seelsorge zu betreiben.

Die Zuordnung erweist sich oft als schwierig. "Das Dunkelfeld ist groß", sagt Klaus Bertelsmann, Fachanwalt für Arbeitsrecht. "Die Leute wehren sich zu wenig, leider sind alles Einzelfallentscheidungen", beklagt er sich. Die Evangelische Stiftung Alsterdorf verstoße eindeutig gegen das AGG, im Besonderen gegen den Paragraphen 9: Schließlich sei die Aufgabe von Christina Hansen nicht die seelische Betreuung, sondern die Hilfe und Pflege bei Wohngruppen behinderter Menschen gewesen.

Der Pressesprecher der Stiftung Alsterdorf sieht das gar nicht so eindeutig. "Das ist nun mal ein sehr schwammiger Bereich", sagt Wolfram Scharenberg. "Wo fängt denn Verkündigung an?" Es gehe um die innere Einstellung der Angestellten, "die Haltung gegenüber anderen Menschen".

Scharenberg berichtet von Kindertagesstätten der Stiftung, beispielsweise in Mümmelmannsberg. "Dort sind auch Menschen aus anderen Kulturkreisen angestellt, die Erzieherinnen haben teilweise muslimischen Hintergrund". Es scheint, als hätte Christina bessere Chancen, käme sie aus einem anderen Land mit einer anderen Kultur. Denn auch Scharenberg sagt: "Unter Kirchen wird die NAK als Sekte angesehen."

Das ist glatt gelogen. Zumindest wenn man hierzu Michael Utsch von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin befragt. "Das ist eine klassische kirchliche Sondergemeinschaft, zahlenmäßig die größte in Deutschland", sagt er. Diese sei im Übrigen schon sehr nah dran an der Ökumene.

"Klar ist die NAK in Teilen etwas dogmatisch und reaktionär", sagt er. Aber sie verwende dieselbe Bibel wie die Evangelischen und die Katholiken. In den letzten Jahren habe sich die NAK deutlich den beiden großen Kirchen genähert. Vielerorts arbeiteten neuapostolische und evangelische Gemeinden erfolgreich zusammen.

Eigentlich ist das alles egal. Denn der Stiftung Alsterdorf geht es darum, dass ihre Wohngruppen von Menschen betreut werden, die in der richtigen Kirche Mitglied sind. Jemanden wegen der scheinbar falschen Glaubensrichtung von jetzt auf gleich rauszuwerfen, das hält auch Michael Utsch für "nicht gerade barmherzig". Auch wenn er einräumt, die Verkündigungsnähe bei der Betreuung von Behinderten sei als Ermessenssache zu betrachten, schwing bei seinen Äußerungen stets ein Unterton mit: Eigentlich haben seine evangelischen Kollegen in Hamburg Unrecht.

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