: Glaube und Gewalt
■ Eine Ausstellung über den Deutschen Ritterorden in Nürnberg
Die überlebensgroße Christusfigur im Germanischen Nationalmuseum hat kein Gesicht mehr. Der rechte Arm fehlt ganz, der hölzerne Körper ist zur Hälfte weggeschossen. Artillerie hat die hölzerne Figur 1945 so zugerichtet. Über Jahrhunderte hing der Gekreuzigte in der Marienburg im heutigen Polen, dem einstigen Stammsitz des Deutschen Ordens.
In dem Verstümmelten verschmelzen exemplarisch die beiden Extreme, die der Orden die längste Zeit seines Bestehens auf seine Fahnen geschrieben hatte: Glauben und Gewalt. Eine bislang einzigartige Mammutausstellung mit 1.000 Exponaten aus zwanzig Ländern breitet im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg die 800jährige Geschichte der heute noch existierenden christlichen Gemeinschaft aus. Ein Stück europäischer Geschichte wird dabei sichtbar. In fast allen Nationen finden sich Spuren des Ordens, der in seinen Glanzzeiten im Spätmittelalter sogar über einen eigenen Staat gebot.
Die Geburtstagsschau findet allerdings ohne Ritter statt: Der letzte starb 1970. Ein halbes Jahrhundert zuvor war die Aufnahme in diesen Ordenszweig gesperrt worden. Heute sind nur noch Priester sowie Ordensschwestern und -brüder in kirchlich-karitativen Institutionen, vom Säuglingsheim bis zu Altenpflegestätten, beschäftigt. Das schwarze Kreuz auf weißem Grund taucht vorwiegend in der Bundesrepublik, Norditalien und Österreich - die heutige Ordenszentrale ist Wien - auf.
In ihrer Geburtsstunde waren die Ordensmitglieder ebenfalls unkriegerisch, dafür aber in um so kriegerischer Umgebung angetreten: Sie gründeten 1190 in der Hafenstadt Akkon, im Heiligen Land in Palästina, ein Zelthospital, um die von Seuchen geplagten Ritter des dritten Kreuzzuges zu pflegen. Doch schnell griffen sie selbst zum Schwert. Eine verschworene Rittertruppe entstand, die über Jahrhunderte überall dort zur Stelle war, wo es galt, die Expansion des Christentums mit kriegerischen Mitteln voranzutreiben. Im Heiligen Land, Spanien, dem ungarischen Burzenland, Livland und Ostpreußen zogen die Ritter mit Feuer und Schwert gegen die Ungläubigen zu Felde. Das Kreuz auf der Brust galt ihnen als Abbild des Kreuzes Christi, in dessen Nachfolge sie sich wähnten. Eigeninteressen und Machtpolitik ließen sich bestens unter dem christlichen Deckmantel verbergen.
Nach der Vertreibung aus dem Heiligen Land Ende des 13.Jahrhunderts verlegten sich die Ritter auf den osteuropäischen Raum. Der „Heidenkampf“ bescherte den christlichen Kriegern 1309 für zwei Jahrhunderte gar den eigenen autonomen Staat Preußen. In dieser Zeit war der Orden von Spanien bis an die Grenze Rußlands, von Sizilien und Griechenland bis Schweden mit Niederlassungen präsent. Noch einmal, als Europa vor den Türken zitterte, führte der neue Feind zu neuem Ruhm. Und nicht zuletzt die enge Verbindung zum römisch-deutschen Kaiserhaus der Staufer verlieh dem Orden im Mittelalter und in der Neuzeit Gewicht.
800 Jahre Militär-, Glaubens- sowie Wirtschafts- und Sozialgeschichte: Wie bringt man das alles in einer Ausstellung unter - und zugleich auf den Punkt? Die Ausstellungsmacher, das Museum und die Internationale Historische Kommission zur Erforschung des Deuschen Ordens, versuchten, das Problem mit gigantischem Sammlerfleiß in den Griff zu bekommen. Sie trugen Material aus aller Herren Länder zusammen - Urkunden, Waffen, Alltagsgegenstände, Gebäudeschlußsteine und andere Architekturfragmente enmasse, Schmuck, Malerei, Kreuze jedweder Art, Reliquien, Münzen. Alles, was das Ausstellerherz begehrt, wurde in chronologische Schubladen gepackt. Doch ein neues Bild des Ordens, wie anvisiert, ist nicht herausgekommen - dafür jedoch ein wohlgeordnetes Sammelsurium.
Denn die Macher scheuten davor zurück, zu werten und zu kommentieren. „Wo sind die Erklärungen?“ fragt eine Berlinerin verzweifelt im Besucherbuch. Und eine andere: „Wehe dem, der keine Bücher gewälzt hat vorher.“ Die Alternative dazu: den 600 Seiten starken Katalog durch das Museum zu schleppen. Doch auch das gewichtige Werk hinterläßt das unbefriedigende Gefühl, als hätten die Fachhistoriker aus vier Ländern den Orden zwar aus der Vergessenheit holen, ihn zu seinem Geburtstag aber auf keinen Fall kritisch unter die Lupe nehmen wollen. Antiseptische Informationsdichte ersetzt jedoch keine prüfende Rückschau.
Die Zurückhaltung rührte sicherlich von der Furcht, in falsche Glorifizierungen oder Verteufelungen abzurutschen. Allzuoft war das im 19. und 20.Jahrhundert geschehen, wie eine eigene Abteilung der Schau - vielleicht die wichtigste
-deutlich macht. In Polen wurden die Ordensritter stigmatisiert als Ahnherren des nationalsozialistischen Eroberungskriegs im Osten; in deutschen Landen mußten sie dagegen als Vorkämpfer eines ominösen Deutschtums herhalten, mit denen sich etwa in der Zwischenkriegszeit gegen den Weimarer Parteienstaat polemisieren ließ.
Die Nationalsozialisten schließlich verboten den Orden zwar - weil sie neben ihrem eigenen, der SS, keinen zweiten dulden wollten -, doch gleichzeitig bedienten sie sich freigiebig der Ordensembleme. 1940 holten sie gar jene Fahnen heim in die Marienburg, die der Deutsche Orden über 500 Jahre zuvor bei der Niederlage gegen die Polen verloren hatte. Daß ihnen bei der „Revanche“ für die Schlacht bei Tannenberg von 1510 lediglich Fahnenkopien untergejubelt wurden, tat der Genugtuung kaum Abbruch.
Doch zwischen einer politischen Indienstnahme der Ordensvergangenheit und einer notwendigen historischen Wertung liegt ein himmelweiter Unterschied. In Nürnberg wurde zugunsten des (selbstverständlichen) Verzichts auf das eine auch das andere versäumt. Was von der Ausstellung dennoch bleibt, ist ein wohltuend europäischer Blick auf den Deutschritterorden. Die nationale Perspektive, die in der Vergangenheit oftmals den Blick auf das europäische Phänomen versperrte, gehört selbst der Vergangeheit an.
Stefan Stosch
800 Jahre Deutscher Orden, bis 30.September im Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg. Katalog: Bertelsmann Lexikon Verlag, 48 DM.
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