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Gipfel der Turkstaaten in Ankara

Die Türkei und sechs Staaten der ehemaligen Sowjetunion wollen enger zusammenarbeiten/ Kasachstan machte ehrgeizigen türkischen Vorstellungen einen Strich durch die Rechnung  ■ Von Ömer Erzeren

Überdimensionale Portraits des türkischen Republikgründers Mustafa Kemal Atatürk und türkische Flaggen zierten den Umkreis des türkischen Parlamentsgebäudes. „Wir lieben die Republik und die Demokratie“, lautete das Motto der 69-Jahr-Feiern der türkischen Republik. Gouverneure und Stadtverwaltungen verteilten unentgeltlich türkische Fahnen. Tageszeitungen legten ihren Wochenendausgaben ebenfalls Flaggen bei. Ins kurdische Bürgerkriegsgebiet hat der Staat vorab ebenfalls ein großes Paket der nationalen Symbole geliefert. Am offiziellen Gründungsfeiertag der türkischen Republik sollte vor jedem Haus und jedem Geschäft die türkische Flagge gehißt werden.

Doch in den Augen der Politiker in Ankara sollte die Feiern in diesem Jahr von einem besonderen Ereignis gekrönt werden. „Die Welt des Türkentums von der Adria bis nach China“, von der Ministerpräsident nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion schwärmte, war in Gestalt von Spitzenpolitikern erschienen. Zum sogenannten Ankara-Gipfel kamen die Staatspräsidenten Aserbaidschans, Kasachstans, Usbekistans, Kirgisiens und Turkmenistans im türkischen Parlament zusammen. Der türkische Staatspräsident Turgut Özal empfing die Gäste vor dem Gebäude. Auf türkisch grüßten die Staatspräsidenten die Ehrenformationen der Armee, die zum Protokoll bereitstanden. Der aserbaidschanische Präsident Ebulfez Elcibey konnte seine nationalistische Entzückung angesichts des ersten Gipfels aller Turkstaaten nicht verbergen. „Gegrüßt seist du, heldenhafter türkischer Soldat“, rief er den strammstehenden Soldaten zu.

Özal, der im Festsaal die Eröffnungsrede hielt, machte die Erwartungen der Türkei deutlich. „Wir dürfen nicht die Hoffnungen unserer Völker enttäuschen. Dieser Gipfel muß zu Ergebnissen führen. Falls wir die historische Chance richtig nutzen, wird das 21. Jahrhundert das Jahrhundert der Türken werden.“ Die historischen Bande zu den Republiken auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion wurden herausgestellt. „Unsere Sprache ist eins, unsere Geschichte und unsere Kultur sind eins. Also können unser Ziel und unsere Kraft auch eins sein.“

Der große kapitalistische Bruder Türkei erhoffte sich von dem Gipfel konkrete Schritte im Sinne einer ökonomischen Integration. Die Aufhebung von Handelsschranken, Liberalisierung des Handels, Pipeline-Projekte zur Vermarktung des aserbaidschanischen, kasachischen und turkmenischen Erdöls über die Türkei und die Gründung einer gemeinsamen Investment-Bank wurden als Zielvorgaben genannt. Zwar betonen türkische Politiker, daß es noch zu früh sei für ein Modell nach Vorbild der EG. Doch der Gipfel sollte ein erster, klarer Schritt in Richtung Wirtschaftskooperation darstellen. Die Türken wollten den Ton angeben. Die Abschlußerklärung mit konkreten Vorgaben hatten die Strategen des türkischen Außenministeriums längst vorformuliert. Das Symbol des Treffens – sechs Sterne, die die Bosporusbrücke umranden – offenbart die Gefühlslage der Türken: Istanbul als Handelsmetropole auch des Kaukasus und Zentralasiens.

Die Regierung in Ankara versuchte die Gäste mit ihrer Initiative regelrecht zu überrollen. Doch es kam ganz anders. Der kasachische Präsident Nur Sultan Nasarbajew, der immerhin eine Atommacht repräsentiert, machte einen Strich durch die Rechnung. Zur Unterzeichnung eines Wirtschaftspaketes, das die Türken anstrebten, kam es nicht. Nasarbajew wehrte sich ebenfalls erfolgreich gegen die Aufnahme von Inhalten ins Abschlußprotokoll, die den Eindruck einer engen politischen Zusammenarbeit der Republiken erwecken könnten. Der Wunsch Özals, die serbische Politik gegenüber Bosnien zu verurteilen, scheiterte am Veto Nasarbajews. Ebenso der Wunsch, gemeinsam Türkisch als Amtssprache in den Vereinten Nationen zu fordern. Schließlich stellen Russen fast die Hälfte der Bevölkerung in Kasachstan. Und die kasachische Sprache ist dem Türkei-Türkischen fern, obwohl beide gleichen Ursprungs sind. Ausdrücklich sprach sich Nasarbajew am Ende des Gipfels gegen „eine Gruppierung auf Grundlage ethnischer und religiöser Gemeinsamkeiten“ aus. „Von Türkentum und von dem Islam zu reden, reicht eben nicht mehr aus“, konstatierte ein Mitarbeiter des türkischen Außenministeriums. Die Euphorie, die das Verhältnis der Türkei unmittelbar zu den neuen Republiken noch vor einem halben Jahr prägte, ist vorbei.

Die letztendlich verabschiedete gemeinsame Erklärung des Gipfels von Ankara besteht aus vagen Absichtserklärungen. Arbeitsgruppen, die die Möglichkeiten wirtschaftlicher Kooperation sondieren, sollen ins Leben gerufen werden. Einmal jährlich wollen die Außenminister der sechs Staaten zusammenkommen. Der nächste Gipfel ist für den Herbst 1993 in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku geplant. Wie sehr die Türkei den zentralasiatischen Republiken fern ist, zeigte sich auch an der Abschlußerklärung. Sie wurde auf russisch und türkisch unterzeichnet. Auf türkisch war eine Verständigung ohne Dolmetscher nicht möglich.

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