Gilet jauneAlina Schwermer : Amerikanischer Traum? Ronaldobei der Frauen-WM?
Der Zug zuckelt gemächlich am Meer entlang. Wir haben diesen wahnsinnigen Ausblick auf pittoreske Klippen-Dörfchen und dicke Yachten und Horizont, den man hat, wenn man vorher weiß, dass man sich auf die linke Seite setzen muss, und das ältere US-Pärchen will mit mir diskutieren. Das heißt, er will das, sie will ein bisschen harmonisch plaudern.
Er mache das immer so, sagt sie lächelnd, „seine Meinung gegen den Strom“. Die WM, ist er also sicher, würden die Deutschen gewinnen. „Die anderen Nationen haben Kraft, aber die Deutschen haben Köpfchen.“ Als er von „neun Leuten auf dem Feld“ redet, komme ich zu dem Schluss, dass er vielleicht nicht regelmäßig Fußball schaut, nein, ein WM-Spiel hat er nicht gesehen. Aber von Cristiano Ronaldo hat er gehört, von der mutmaßlichen Vergewaltigung, der sei doch sexsüchtig.
„Diese Fußballer haben viel zu viel Macht über Frauen.“ Dann schaut er seine Frau an, ob das hier echt der Fifa Cup sei? Sie sagen wirklich konsequent „Fifa Cup“ zur WM. Nein, das könne nicht stimmen. Mir schwant, noch mal an Ronaldo denkend, dass wir da ein Missverständnis hatten. „Es ist nicht die WM der Männer, sondern die der Frauen“, sage ich. „Oh“, sagt er, begreifend. „Frauen!“
Die beiden Kalifornier sind sehr nett und sehr amerikanisch. Warum Menschen in Kuba und Venezuela das System nicht stürzen, klagt er, unter dem Joch des Sozialismus. „Warum hat keiner von denen den Mut und erschießt den Diktator einfach? Feiglinge sind das.“ Merkel findet er gut, Trump schrecklich. Beide sind mexikanischstämmig, dieses sehr kalifornische Paar, sie wurde sogar in Mexiko geboren. Und für einen Moment denke ich, wie schnell das ging, dass sie den Geist von Los Angeles adaptierten.
Wie sie aus kinderreichen und schlecht gestellten Familien den Weg zu Wohlstand und Europareise fanden, so muss er sein, der amerikanische Traum. Er spricht dann sehr reflektiert über die wachsende ökonomische Schere in den USA, über Frust und Hauspreise – „in Kalifornien ist jeder Hausbesitzer Millionär“ – und plötzlich schaltet sich eine alte Französin ein. 90 Jahre alt, „mein Schwiegersohn“, sagt sie, „hat hier in Frankreich Geld mit Hausverkäufen gemacht.“ Ihre Enkelin, 26, lebt jetzt in Manhattan, als Projektleiterin in einem großen Konzern. So schließen sich Kreise, so wird man Amerikaner.
Er glaubt an den Kapitalismus, aber doch nicht so ganz. Frauen, sagt er mir irgendwann ernsthaft, hätten es heute viel zu schwer. Mutter, Partnerin und auch noch ein Job, Frau will er nicht sein. „Ich möchte definitiv als Mann wiedergeboren werden“, betont er. Ich frage seine Frau, ob sie das auch findet. „Ich weiß nicht“, sagt sie lächelnd, „ich würde als Frau wiederkommen.“ Dann fahren sie weiter. Skandinavien, Russland, Türkei, Italien hatten sie schon auf dieser Reise, demnächst ist Deutschland dran. Europa eben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen