Giftige Arbeitsbedingungen bei Romika

Schwere Vorwürfe gegen den Trierer Schuh-Hersteller: ArbeiterInnen ungeschützt giftigen Lösungsmitteln ausgesetzt / Sondermüll auf Hausmülldeponien entsorgt  ■  Von Hans Thomas

Eine Sonderkommission (Soko) der Trierer Kriminalpolizei ermittelt nach Informationen der taz gegen die Romika Lemm & Co KG, Trier, einem der größten Hersteller von Sportschuhen in der Bundesrepublik. Hintergrund sind offenbar bislang stets zurückgewiesene massive Vorwürfe ehemaliger und noch bei Romika beschäftigter ArbeiterInnen, das Unternehmen habe sie jahrelang ohne ausreichenden Schutz gefährlichen Chemikalien am Arbeitsplatz ausgesetzt und darüber hinaus Sondermüll auf Hausmülldeponien verschwinden lassen.

Chemikalien unter

Hausmüll versteckt

Ausgelöst hat die jetzt nach Angaben aus Polizeikreisen „streng vertraulich“ angerollten Ermittlungen der ehemalige Romika-Arbeiter Theodor Peters, der schon Ende Februar einer staunenden Öffentlichkeit erklärte, er selbst habe sich am „Verschwindenlassen“ giftiger Restchemikalien im seit einiger Zeit stillgelegten Romika-Zweigwerk Bitburg (Eifel) beteiligt. Die Entsorgung der als Sondermüll zu deklarierenden Chemikalien, vor allem chlorierter Kohlenwasserstoffe, sei immer nach dem gleichen Muster abgelaufen: Ohne Schutz hätten Arbeiter Restchemikalien verschiedener Herkunft in 200-Liter-Tonnen zusammengeschüttet, „daß es nur so brodelte“. Die Fässer seien dann unter harmlosen Abfällen „versteckt“ und auf die Hausmülldeponien der umliegenden Gemeinden gekarrt worden, so die mittlerweile auch bei der Kripo hinterlegten Aussagen von Peters.

Während das Unternehmen mit einem umfangreichen Dementi und einer Kündigung seines Arbeiters aus „außerordentlichem Grund“ reagierte und die Bezirksregierung als Aufsichtsbehörde ebenfalls beteuerte, an den Vorwürfen gegen den größten industriellen Arbeitgeber am Ort sei nichts dran, brachten die Vorwürfe des Arbeiters das Faß bei der sonst eher auf das linke politische Spektrum „spezialisierten“ Trierer Staatsanwaltschaft offenbar endgültig zum Überlaufen: Nach den der taz vorliegenden Dokumenten durchkämmten Kripo-Beamte, Staatsanwälte und ein Richter bereits am 5.April sowohl das Romika-Stammwerk in Trier als auch das Zweigwerk Gusterath (Kreis Trier -Saarburg) auf der Suche nach Beweismaterial. Bei der fast ganztägigen Aktion sollen bis zu 100.000 Seiten Aktenmaterial abtransportiert worden sein.

Auf taz-Anfrage bestätigte der Leiter der „Soko Romika“, Klaus Schmitz, erstmals den Überraschungsschlag gegen das Unternehmen, dessen Chef Björn Lemm als Vorsitzender des Trierer Unternehmensverbands ein mächtiger Mann an der Mosel ist.

Über den Umfang des sichergestellten Materials wollte Schmitz keine Angaben machen. Die illegale Sondermüllentsorgung dürfte allerdings eher die Spitze des Eisberges markieren. „Wir ermitteln in alle Richtungen“, meinte der Soko-Chef.

Noch gravierender sind offenbar die Verdachtsmomente wegen skandalöser Verletzungen der Arbeitsschutzbestimmungen. In zahlreichen Prozessen vor dem Landesarbeitsgericht Rheinland -Pfalz berichten Arbeiter aus der Schuhproduktion seit einem Jahr über ihre Erfahrungen: Mit bloßen Händen habe er und seine Kollegen Schuhautomaten mit stark giftigem Dichlormethan auswaschen müssen, die Arbeitskleidung sei permanent mit gefährlichen Lösungsmitteln durchtränkt gewesen, und Schutzbrillen habe es keine gegeben, von Atemschutzmasken ganz zu schweigen, sagte der 46jährige Rudolf Nöhl aus. Andere Arbeiter gaben gegenüber der taz an, Sicherheitsetiketten an Chemiebehältern seien, „um Fragen vorzubeugen“, einfach abgerissen worden. Wenn dennoch jemand nachgefragt habe, sei ihm beschieden worden, die Chemikalien seien „auf wässriger Basis hergestellt, die kannst du sogar trinken“. Der freigestellte Betriebsrat Kurt Lehnertz wundert sich öffentlich darüber, daß nach den aufsehenerregenden Enthüllungen von Peters die Maschinenarbeiter plötzlich nur noch mit Masken arbeiten dürften, nachdem ihnen vorher stets die Unbedenklichkeit ihrer Arbeitsstoffe bescheinigt worden sei.

Neurologe soll

sich zurückhalten

Daß die Vorwürfe auch aus medizinischer Sicht nicht aus der Luft gegriffen seien, meint der Trierer Neurologe Dr. Peter Binz. Immer wieder habe er bei Patienten aus dem Romika-Werk die „klassischen Symptome einer Löseschädigung“ festgestellt, berichtet der Arzt: Andauernde Kopfschmerzen, Schwindelanfälle, Gedächtnisstörungen und Muskelschrumpfungen bis hin zur Verkleinerung des Gehirns in besonders schweren Fällen. Angebote seinerseits an die Bezirksärztekammer, die ArbeiterInnen kostenlos unmittelbar am Werkstor nach der Schicht zu untersuchen, um die sich schnell verflüchtigenden Lösemittel sicher nachzuweisen, seien abgelehnt worden. Statt dessen forderte die Bezirksärztekammer Trier, offensichtlich genervt von den Befunden des Neurologen, Binz in einem Schreiben auf, „sich in den Äußerungen über dieses Krankheitsbild äußerster Zurückhaltung zu befleißigen“.

Ein besonders gravierender Fall wird auch die Staatsanwaltschaft beschäftigen: Bei einem im Sommer 1988 verstorbenen ehemaligen Romika-Arbeiter stellte Binz den Totenschein aus und äußerte darin den „dringenden Verdacht auf Lösemittelschäden“. Ein Ergebnis der in einem solchen Fall nach seiner Aussage „zwingend vorgeschriebenen“ Obduktion des Toten ist dem Arzt bis heute nicht zugestellt worden. „Ein äußerst ungewöhnliches Verhalten“, so Binz.

Vorläufiger Schlußpunkt in der Auseinandersetzung ist ein in der vergangenen Woche ergangenes Urteil gegen den Neurologen Binz. Rund 6.000 Mark (Prozeßkosten) hat ihn nach einem Urteil des Trierer Landgerichts seine Weigerung gekostet, eine in einem Arztbrief getätigte Aussage zurückzunehmen. Binz hatte darin erklärt, eine seiner Diagnosen nach schwer durch Lösemittel geschädigte ehemalige Romika-Arbeiterin sei es schließlich nicht selbst gewesen, die „ihre Arbeitsfähigkeit zerstört hat, und ihr ganzes Leben sowieso“. Darin sah das Gericht eine „Ehrverletzung und Rufschädigung“ der Firma Romika. Schließlich bringe Binz mit dieser Äußerung „Unruhe unter die Arbeitnehmer“, die sich nun um ihre Gesundheit ängstigten, heißt es in der Urteilsbegründung der 11.Zivilkammer. Hinzu kämen „in einer umweltbewußten Öffentlichkeit Reaktionen, die Auswirkungen auf den Umsatz der Romika befürchten lassen, urteilten die Richter (AZ: 11096/89).