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Giftgaseinsatz in SyrienBriten verdächtigen Assad

Die UN-Chemiewaffenexperten kommen nicht in das betroffene Gebiet, um den Giftgaseinsatz zu untersuchen. Eine US-Intervention scheint ausgeschlossen.

Seit über zwei Jahren herrscht Bürgerkrieg in Syrien. Ein Ende ist nicht in Sicht. Bild: reuters

DAMASKUS/ISTANBUL/LONDON/WASHINGTON dpa/rtr | Nach den mutmaßlichen Giftgasangriffen nahe Damaskus warten die UN-Inspekteure weiter auf eine offizielle syrische Genehmigung zur Untersuchung des Vorfalls. Regimegegner berichteten, die Regierungstruppen hätten ihre Angriffe auf Rebellenhochburgen am Stadtrand von Damaskus am Freitag mit unverminderter Härte fortgesetzt. Den Rebellen sei es gelungen, ein Vorrücken der Armee im Viertel Dschobar zu verhindern.

Die Vereinten Nationen hatten zuvor erklärt, die Chemiewaffenexperten, die sich in Syrien aufhalten, könnten die betroffenen Gebiete derzeit nicht in Augenschein nehmen. Dies wurde mit der schlechten Sicherheitslage im Umland von Damaskus begründet.

Am vergangenen Mittwoch hatte es bei Angriffen der Regierungstruppen östlich und südlich von Damaskus nach Angaben der Revolutionskomitees Hunderte von Opfern gegeben. Die Opposition wirft der Armee von Präsident Baschar al-Assad vor, dort auch Giftgas eingesetzt zu haben. Eine Gruppe von Rebellenkommandeuren erklärte jetzt, die internationalen Reaktionen auf dieses Verbrechen seien nicht ausreichend.

In den Reihen der Assad-Gegner gibt es neue Konflikte. Die Gruppe von Rebellenkommandeuren forderte die von Oppositionellen gegründete Nationale Syrische Allianz auf, ihre praktische Unterstützung für die kämpfenden Revolutionäre zu verstärken. Sonst werde man „die Allianz für illegal erklären“.

Die UN-Inspektoren sind zwar in Damaskus, sie haben jedoch keinen Zugang zum bombardierten Gebiet. Bild: dpa

Der Zusammenschluss der Opposition sieht sich ohnehin schon länger massiver Kritik ausgesetzt. Da es ihm bisher weder gelungen ist, in großem Stil Militärhilfe zu beschaffen noch eine politische Lösung voranzutreiben, wird er sowohl von den Rebellen unter Druck gesetzt, als auch von westlichen Diplomaten.

Assad nennt sechs neue Minister

Die staatliche Nachrichtenagentur Sana meldete am Freitag, Assad habe eine begrenzte Kabinettsumbildung beschlossen. Er ernannte sechs neue Minister. Bei einem Sprengstoffanschlag in einem Restaurant in Aleppo kam nach übereinstimmenden Berichten am Donnerstagabend ein regimetreuer Fernsehjournalist ums Leben.

Am Donnerstag starben bei Angriffen und Kämpfen in mehreren Regionen 180 Menschen, wie die Organisation Syrischer Menschenrechtsbeobachter mitteilte. Darunter seien auch sieben Ausländer, die auf der Seite der Regimegegner gekämpft hatten. Am Freitag zählten Regimegegner bis zum Nachmittag rund 50 Tote.

Großbritannien geht davon aus, dass der mutmaßliche Giftgasangriff am vergangenen Mittwoch in der Nähe von Damaskus auf das Konto des Assad-Regimes geht. Dies sei die „einzige plausible Erklärung“, sagte der britische Außenminister William Hague am Freitag in London. „Ich weiß, dass einige Leute in der Welt dazu neigen zu sagen, dies sei eine Art Verschwörung der Opposition in Syrien – ich glaube, die Wahrscheinlichkeit dafür ist verschwindend gering“, sagte Hague.

Priorität für Großbritannien habe es nun, unabhängige Inspekteure der Vereinten Nationen in die Gegend zu bekommen. Dass das Regime in Damaskus dies gegenwärtig ablehne, deute darauf hin, dass es etwas zu verbergen habe, sagte Hague. Am nächsten Mittwoch soll es erneut eine Sitzung des UN-Sicherheitsrats geben. „Großbritannien ist bereit, zum Sicherheitsrat zu gehen und um ein stärkeres Mandat zu bitten. Damit die Welt in kraftvollerer Weise darüber spricht“, sagte der Außenminister.

Obama will die USA aus dem Syrien-Krieg heraushalten

Trotz Hinweisen auf den Einsatz von Giftgas lehnen die USA eine Intervention in den syrischen Bürgerkrieg ab. Präsident Barack Obama machte am Freitag deutlich, dass er die Amerikaner nicht mit einer überhasteten Entscheidung in einen neuen kostspieligen Krieg verwickeln wolle.

„Die Vereinigten Staaten bleiben ein Land, von dem die Menschen erwarten können, dass es mehr kann als seine eigenen Grenzen zu verteidigen“, betonte er im Sender CNN. „Das bedeutet aber nicht, dass wir immer sofort in jede Sache verwickelt werden müssen.“ Damit rückt er etwas von früheren Äußerungen ab: Obama hatte einst gesagt, dass mit dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen in dem Syrien-Konflikt eine rote Linie überschritten werde.

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12 Kommentare

 / 
  • KS
    Kritische Stimme

    Wie ein gluecklicher Zufall. Kaum haben die Kriegstreiberlaender von Syrien,US+UK+DE+FR+Israel in den VN durchgepeitscht das Giftgaskontrolleure geschickt werden muessen , und sehe da ist schon der erste Giftgaseinsatz , alsob man drauf gewartet hat .Dabei soll man bedenken das mindestens US+UK+FR+Israel Giftgas besitzen

  • S
    Student

    @Wolfgang:

     

    Insbesondere ist in keiner Weise einzusehen, weshalb ausgerechnet der US- und EU-Imperialismus mit seinen millionenfachen Verbrechen gegen Menschenrechte im Rahmen völkerrechtswidriger Kriege in irgendeiner Weise dazu berechtigt und befähigt sein soll, hier zu "intervenieren", sprich: irakische Zustände herbeizubomben.

     

    Die schlimmste Niederlage für die breite Masse der Unterdrückten in Syrien wäre ein weiterer einzig den geopolitischen Interessen von US-/EU-Imperialismus dienender NATO-Krieg, der womöglich einen Flächenbrand im gesamten Nahen Osten auslöst. Teile des US- und EU-Imperialismus könnten damit freilich gut leben und bringen dieses Szenario sogar aktiv voran, denn auch dies ist eine Methode der Kontrolle und Herrschaftssicherung zur maximalen Ausbeutung bei maximaler Abwesenheit von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, ja überhaupt einer zentralen Regierungsmacht in den betreffenden Ländern (nachzulesen in diversen Strategiepapieren von US- und anderen Imperialisten).

  • S
    Student

    Dies sei die „einzige plausible Erklärung“, sagte der britische Außenminister William Hague am Freitag in London. „Ich weiß, dass einige Leute in der Welt dazu neigen zu sagen, dies sei eine Art Verschwörung der Opposition in Syrien – ich glaube, die Wahrscheinlichkeit dafür ist verschwindend gering“...

     

    Genauso gering wie die Wahrscheinlichkeit dafür, dass es eine "Verschwörung" war, dem Irak Massenvernichtungswaffen anzudichten?! Dass den Kriegsverbrechern und der widerlichen, verlogenen Propaganda des EU- und US-Imperialismus, die allein in den letzten gut 10 Jahren mit ihren Kriegen um Ressourcenkontrolle und Aufteilung der geopolitischen Hauptinteressengebiete Millionen Menschen ermordet haben, ist geradezu unfassbar.

     

    Wir brauchen endlich massenhaften Protest in den Zentren dieses Imperialismus gegen die ständige Kriegstreiberei und die Pervertierung des Menschenrechtsbegriffes. Nichts, was im Nahen und Mittleren Osten passiert, geschieht ohne massive Einflussnahme von außen, auf Basis klarer und eindeutiger materieller Interessen. Das gilt selbstverständlch auch für die Hochrüstung reaktionärster "Rebellen" in Syrien, überhaupt die Überschwemmung des Landes mit Waffen, Dschihadisten usw.

     

    Hände weg von Syrien!!

  • F
    Franki12345

    Lieber Wolfgang, es gibt eine plausibele Erklärung für einen möglichen Giftgas Angriff der Regierungstruppen.

    Assad hat längst die Kontrolle aller Generäle verloren. Die Truppen agieren auch weitestgehend autonom im Krieg. Da kann schon mal eineMilitär die Beherrschung verloren haben beim Anblick seiner Toten Kameraden. Ich glaube auch nicht, dass Assad die Massaker an Kinder gut heißt, trägt aber nunmal die Verantwortung dafür!!!

  • AU
    Andreas Urstadt

    Mal wirklich ernsthaft nachdenken:

     

    Assad wirft syrische Friedensaktivisten ins Gefaengnis. Die Rebellen richten syrische Friedensaktivisten hin. Wer kam auf den Wahnwitz Friedensverhandlungen mit solchen Rebellen zu initiieren, die EU, die Medien, der UnoGeneral. Niemand davon sagt, was in Syrien mit Friedensaktivisten passiert. Inkl niemand von der taz. Die taz hat vor langem die Peilung verloren hin zur NATOreife.

     

    Wer die Friedensaktivisten nicht unterstuetzt will keinen Frieden. Das sind die einzigen, die Unterstuetzung brauchen.

     

    (stattdessen finden sich in der taz Waffenlieferbefuerworter, natuerlich an die Rebellen - wer so drauf ist, verpeilt alle Themen - ich fordere den Ruecktritt der tazredaktion)

  • T
    tcyro

    Assad muss diesen Konflikt für sich entscheiden.

     

    Andernfalls werden wir einen weitern gottlosen Schariastaat erhalten!

  • W
    Wolfgang

    Mal ernsthaft Nachdenken.

     

    Warum sollte die syrische Armee die eigene Bevölkerung mit Giftgas vernichten, um anschließend von der französischen und britischen Luftwaffe vernichtet zu werden.

     

    Dieses Interesse, die Vernichtung der syrischen Armee, durch NATO-Bodentruppen und Luftwaffenverbände, könnten doch nur die saudi-arabisch und katarisch finanzierten Freiheitskämpfer und Rebellen haben - oder?

     

    Sollte die deutsche Bundesregierung einen Militärschlag gegen die syrische Armee billigen, so beteiligt sich die deutsche Bundesregierung und Parlamentsmehrheit an ein Kriegsverbrechen!

  • S
    Sören

    Es ist positiv, dass auch die russische Regierung will, dass das UN-Team diesen mutmaßlichen Angriff mit Nervengas untersucht. Assad muss dies dem Team schnell ermöglichen, da die Nachweisbarkeit im menschlichen Körper und der Umwelt nur für eine bestimmte Zeit möglich ist.

     

    Ansonsten ist es sicher bedrückend, wie die internationale Gemeinschaft es nicht schafft, eine einheitliche Linie zu finden. Dieser Rückfall in die Zeit des Kalten Krieges nützt niemandem, erst Recht nicht der syrischen Bevölkerung. Zumindest auf humanitärer Ebene muss alles, was möglich ist, getan werden.

     

    Eine militärische Intervention des Westens wird wohl kaum kommen. US-General Dempsey hat ja deutlich gemacht, dass das wenig Aussicht auf Erfolg hätte. Der Präsident ist zu einem Einsatz offenbar nicht bereit, und das UK und Frankreich können alleine auch wenig ausrichten (Außenminister Fabius hat Bodentruppen sowieso ausgeschlossen). Es bleibt also die Hoffnung auf eine diplomatische Lösung, von der alle wissen, dass auch sie kaum Aussicht auf Erfolg hat.

  • AU
    Andreas Urstadt

    ps Ich find s nen Knaller, dass nichts ueber das systematische Massakrieren und Haengen von Friedensaktivisten durch Rebellen berichtet wird. Es gibt ergo etwas, das es so gut wie gar nicht gab waehrend der Nazizeit, etwas wie eine Weisse Rose in Syrien. Die Rebellen halten ihre Orte mit aeusserster Brutalitaet, jede auch friedliche Opposition wird eliminiert.

     

    Dass sowas nicht in der taz steht ist ein Hammer.

  • HB
    Harald B.

    Wie war das mit dem Irak als Blair und GWBush sicher waren, dass Saddam MVW hat. Jetzt versuchen die Briten dengleichen Trick nochmal mit Assad. Ob ihnen noch jemand glaubt?

    Assad kommt militärisch gut voran- er wird gewinnen und das ist gut für Syrien, schlecht für die Vollbartmilizen.

  • HS
    Hari Seldon

    Nun, sogar in der Online-Ausgabe von CNN ist zu lesen, dass Russland in der UN-Sicherheitsrat Satellitenbilder verteilt hat, und die Satellitenbilder zeigen den genauen Verlauf der mutmaßlichen Giftgasattacke. Auf den Bildern ist gut zu sehen, dass ein Raketenangriff aus den REBELLENGEBIETEN durchgeführt wurde. Ausserdem wollen die Rebellen keinen freien Zugang zu den betroffenen Gebieten für die UN-Inspekteuren gewähren. Sogar ein britischer Chemiewaffenexpert (bbc online) sagt, dass das "delivery system" (auf gut Deutsch: Woher kam der Angriff) mindestens so wichtig ist, als die Ladung. Augenscheinlich haben einige ehemaligen Kolonialmächte Nostalgie für die "Gloir" der Vergangenheit, und wollen wieder kolonialisieren. Deutschland und die anderen europäischen Länder müssen aufpassen, und sollten sich nicht in schmutzige neokolonialistische Angriffskriege reinziehen lassen. Obwohl meine Familie musste Blutopfer im Kampf gegen sowjetische Panzer bezahlen, kann ich nur sagen, dass die WELT (und nicht nur Russland) Glück hat, dass ein Putin in Russland beim Ruder ist. Augenscheinlicht hat auch Obama nach dem Angriffskrieg gegen Libyen den Rat von Henry (Kissinger) endlich ernst genommen: "Finger weg von Bürgerkriegen" (s. die Memoiren von Kissinger).

  • AU
    Andreas Urstadt

    Nach der Syrischen Beobachtungsstelle fuer Menschenrechte gab bei dem Angriff sogar nur 136 Tote statt ueber 1300 (siehe Facebookpage). Die faz meldete heute 170 und berief sich auf die Stelle, die Zugang zum Ort hat. Aerzte werden zitiert, die keine stichhaltigen Anzeichen fuer einen Chemiewaffenansatz fanden (der Facebookeintrag ist etwas aelter, dort berief man sich auf Aussagen der Rebellen). Die faz eliminierte die Angaben der Menschenrechtsstelle, Druck aus England?????

     

    Die Beobachtungsstelle ist interessant. Friedensaktivisten werden von den Rebellen systemstisch hingerichtet. Niemanden interessiert. Bilddokumente dazu vorhanden. Usw. Dazu die Zahl der tgl Toten an allen Orten.

     

    Warum wird diese NGO ignoriert, obwohl die es sind, die die Leute vor Ort haben.

     

    Warum beruft sich die faz auf Angaben, die England entgegen stehen und sagt Hague (jemand der bei der taz Exklusivinterviews bekommt) einen Ton, wird schnell die Passage geloescht. Seltsame developing story, die mit dem Stil alles andere als transparent ist. Eher Neusprech.