■ Gibt es eine multikulturelle Küchengesellschaft?: „Ethnic Food“ in deutschen Mägen
Frankfurt (taz) – Wenn es im Magen rundgeht, sich der Hunger aufs heftigste zu Wort meldet, ist jeder Vorbehalt Fremden gegenüber, jede Grenze im Kopf im Nu verflogen. So will es nicht nur das Sprichwort, wonach Liebe durch den Magen geht, so will es auch die Natur der Dinge.
Irgend etwas kann aber an dieser Weisheit nicht stimmen. Denn dann wären ja die Deutschen die liebsten Ausländerfreunde! Scheinen doch die meisten von ihnen pausenlos lukullischen Genüssen zu frönen. Pizza, Ravioli, Pommes frites, Lambrusco, Paella, Omelette sind ohnehin bereits zu deutschen Speisen mutiert. Ach ja, und Spaghetti natürlich. Noch nie wurde in Deutschland so viel und so häufig aus den Küchen anderer Länder serviert und gegessen wie heute. Ein Zauberwort macht die Runde: ethnic food. Übersetzt soll das etwa heißen: landsmannschaftliche Kost der Kulturen.
Ethnic food ist die Fortsetzung des Bermudahosen-Urlaubs mit chemischen Mitteln. Ein Cappuccino wie in bella Italia? Kein Problem: Man nehme eine eingeschweißte Tüte mit Milchpulver und Instant-Kaffee, fertig. Tortillas wie in Mexiko? Kein Problem: Man nehme zwei Tüten mit mehligem Inhalt und mische Leitungswasser dazu, fertig. Es leben die Imitate! Die Integration im Lebensmittelbereich ist quasi paradiesisch gelungen. Wenn man die ausländischen Menschen nicht vollends zur deutschen Kultur zwingen kann, dann doch wenigstens deren reichhaltige Platten.
Aber, gemach, gemach! Zur Ehrenrettung der deutschen Verbraucher ist jemand angetreten, der bei der am Wochenende begonnenen ANUGA in Köln, der Nahrungsmittelmesse, ethnic food für sein Unternehmen zum Hauptschwerpunkt erklärt hat. Es ist Albrecht Koch von der Schweizer Firma Nestlé, die in ihrem weltweiten Sortiment unter anderem Schokolade mit dem „schnuckeligen“ (Albrecht Koch) Sarottimohr verkauft. Und weil die geschmacksneutralen Suppen von Maggi dem gleichen Unternehmen zuzuordnen sind, meint Koch die Zeichen der Zeit en passent ins unternehmerische Kalkül miteinbezogen zu haben: „Es wird hier niemanden geben, der eine Sauce, dieses wunderbare Wort Sauce, umbenennen will in das germanische Wort Tunke, wie wir es ja mal gehabt haben.“ Richtig, getunkt wurde nämlich ausgiebig bei den Nazis. Koch versichert: „Wir sind ein internationales Unternehmen, wir sind per se ausländerfreundlich.“ Der Hobbykoch von multikulturellen Gnaden hat auch noch eine Philosophie für uns parat: „Der Magen ist ein wichtiges Organ. Vieles beginnt im Magen. Man kann nicht alles vom Verstand oder vom Herzen her sehen. Warum nicht auch der Magen? Wenn man den Gedärmen des Rassismus über den Magen begegnen kann, habe ich nichts dagegen. Darum, finde ich, ist die ethnische Küche eine gute und zweckmäßige Küche.“
Im übrigen, und da wird unser Freund, der Lebensmittelmulti, pathetisch, habe schon der berühmte französische Koch Brillat-Savarins so gesagt: „Es ist besser, ein neues Gericht zu entdecken als einen neuen Stern.“ Wenn das kein Beweis für Antiimperialismus ist.
Der Feldzug wider den deutschen Unmagen hat mit ethnic food unbestritten eine unerwartete Dimension erreicht. Einem Kohlrabi aber dürfte es ziemlich wurscht sein, ob er sich zu einem gerade verschlungenen Chop-suey-Reis gesellen darf oder zu einem Speckknödel. Insofern bleibt die Erkenntnis, die unserem Kanzler die liebste ist: „Wichtig ist, was hinten rauskommt.“ So ist es. Und diesem Endprodukt ist die braune Farbe deutlich anzusehen. Nur dafür fühlt sich niemand verantwortlich. Franco Foraci
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