: Gezeichnet fürs Leben
■ Gesichter der Großstadt: Wolfgang Baumgartner ist Tätowierer im Prenzelberg / Gelernt hat der 26jährige Wiiener in Thailand / Ideal ist ein Ganzkörper-"Overall"
Kampfhunde – für die meisten Menschen keine angenehme Erscheinung. Mit ihren kleinen Schweine-Glupschaugen und dem gedrungenen Leib sind sie eher Kampfmaschine als kuscheliges Schoßhündchen. Manche Menschen aber können von den Beißern gar nicht genug kriegen, sie setzen noch eins drauf und lassen sich den Kampfhund auf den kräftigen Oberarm oder auf die Schmalbrust tätowieren.
Auch Tätowierer Wolfgang Baumgartner findet fletschende Hundezähne nicht besonders ästhetisch, aber, so sagt er, der Kampfhund werde nun mal in seinem Tattoo-Katalog angeboten. Und: Geschäft sei eben Geschäft, „und wenn jemand ankommt, der ein Kampfhund-Motiv tätowiert haben will, dann mache ich das natürlich auch“.
Sonst macht der gebürtige Wiener, der einen Tattoo-Shop in der Stubbenkammer Straße in Prenzlberg betreibt, fast alles, um Rücken, Oberarme, manchmal aber auch die Innenseiten der Oberschenkel oder die Achselhöhlen zu „verschönern“: Zuerst rasiert und desinfiziert er die Hautpartie, dann kommt ein dünner Seifenfilm drüber, damit das vorher auf Pauspapier übertragene Motiv haften bleibt, schließlich wird die Haut mit den Fingern gespannt und dann geht die oft stundenlange Prozedur los: Mit einem Gerät, was ähnlich wie eine Handnähmaschine aussieht, werden Tausende kleine Farbpigmente in die Haut „eingearbeitet“.
Besonders beliebt seien, so Baumgartner, Ornamente und Drachen. Aber auch Totenköpfe und der traditionelle Anker, der laut Baumgartner aber schon seit langem völlig „out“ ist, werden ab und zu gewünscht. Der Tätowierer macht fast alles – absolut tabu sind aber Hakenkreuze oder andere Nazisymbole. Nackte Frauen dagegen nicht: „Da ist doch nichts dabei“, findet der 26jährige, der, wenn er lange Hemdsärmel trägt, eher wie ein Bankangestellter aussieht.
Tattoo-Studios waren in der DDR verboten, und so hoffte der Wiener mit „Tattoo you“ vor einem halben Jahr eine Marktlücke in der kleinen Seitenstraße der Prenzlauer Allee zu füllen. In das kleine Geschäft, in dem man vom „Behandlungsstuhl“ aus durch eine Glasfront direkt auf die Straße schauen kann, kommen „ganz normale Leute“, überwiegend Männer aus der Nachbarschaft. So richtig ausgelastet ist der gelernte Konditor, dessen machomäßige Kleidung – enggeschnürte Lederhosen und Bikerstiefel – im Gegensatz steht zu seiner schmächtigen Natur, meist nur am Monatsanfang: „Da bekommen die Leute dann ihr Geld und leisten sich eher ein Tattoo als mitten im Monat.“ Wieviel eine ständige Bemalung kostet, möchte der schmächtige Mann nicht verraten: „Das ist nicht gut für die Konkurrenz.“
Mit der Konkurrenz hat er schon einmal schlechte Erfahrungen gemacht – auf der thailändischen Insel Kohsamui, wo er zwei Jahre lang ein eigenes Tätowiergeschäft betrieb: „Am Anfang sind die Touristen alle zu mir gekommen, weil bei mir die hygienischen Verhältnisse sehr gut waren.“ Nach zwei Jahren sei das Geschäft schlechter geworden – zu viele Tätowierer hatten sich inzwischen auf Kohsamui niedergelassen.
Egal ob in Berlin oder in Thailand – Tattoos sind für Baumgartner, der beim legendären Tätowierer „Jimmy Wong“ in Bangkok gelernt hat, eine Leidenschaft geworden: „Es ist wie eine Sucht, von der man immer mehr will.“ Das „Unauslöschliche“ törnt ihn an, er findet es reizvoll, sich bei seinen KundInnen zu verewigen. So ist es sein sehnlichster Wunsch, auch den eigenen Körper „over all“ zu tätowieren. Seine Oberschenkel und Arme sind fast vollständig zugepinselt, der Rest des Körpers – außer Gesicht und Hände – soll nach und nach mit Ornamenten, Tieren und orientalischen Gebilden zugedeckt werden. „So ein ,Overall‘ ist wie ein Gemälde, es ist ein Kunstwerk“, schwärmt er. Wenn er die Möglichkeit hätte, sich seine Tattoos ohne Narben – was auch mit Laserstrahlen heutzutage nicht möglich ist – wegmachen zu lassen, würde er „wahrscheinlich“ ja sagen. „Aber nach vierzehn Tagen würde ich erneut anfangen, meinen eigenen Körper zu tätowieren“, sagt er mit einem Grinsen. Leidenschaft bleibt eben Leidenschaft, auch wenn man damit fürs Leben gezeichnet wird. Julia Naumann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen