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Gewitztheit

■ Die DDR weiß bei den Ausbürgerungen zu unterscheiden

Als panische Überreaktion hatte ein Teil der westlichen Öffentlichkeit die jüngsten Repressionsmaßnahmen der DDR-Regierung angesehen; es komme nun darauf an, nach geräuscharmen Lösungen zu suchen, bei denen niemand sein Gesicht verliere. Für einen anderen Teil hatte das Regime (wieder einmal) sein wahres Gesicht gezeigt; nur lautstarker Druck könne die Herrschenden zum Einlenken zwingen. Möglicherweise sind der DDR-Führung beide Reaktionsweisen recht.

Einen entschlüsselnden Hinweis gibt die Ungleichbehandlung der Ende Januar Verhafteten. Stephan Krawczyk, Freya Klier und Ralf Hirsch wurden auf „eigenen Wunsch“ ausgebürgert. Das provozierte erste Anschuldigungen. Die Templins, Bärbel Bohley und Werner Fischer kamen mit DDR-Paß in den Westen. Es hängt von ihrem Verhalten ab, ob sie zurück dürfen. Vera Wollenberger und andere sitzen noch; nach ihrer Entlassung gibt es kaum noch übersehbare Kombinationsmöglichkeiten für Verdächtigungen und Mißtrauen. Die Opposition wird für eine Weile mit sich selbst beschäftigt sein.

In all dem wird die Strategie der letzten Jahre erkennbar: Auf der einen Seite erweiterten sich innere Spielräume „geräuscharm“, auf der anderen Seite wurden – geräuschvoll – alle Aufbruchstimmungen, die von Osten hereinzuwehen drohten, entmutigt. Daß Kurt Hager sich als reformfeindlicher Dogmatiker profilierte – und Honecker als lächelnder Pragmatiker –, entsprach einer Strategie. Der Rückgriff ins stalinistische Arsenal wirkte glaubhaft. Die kritischen Künstler und Schriftsteller der DDR schwiegen jetzt, um nicht zu gefährden, was ihnen gerade konzediert worden war. Die Verhaftungen, der absurde Vorwurf des Landesverrats und nun die schlaue Differenzierung der Verhafteten zeigen, daß die DDR-Führung auf dem Klavier der Macht zu spielen versteht. Wer die Gewitztheit seines Gegners unterschätzt, geht unter. Erhard Stölting

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