Gewerkschaftsdemo am 1. Mai: DGB leidet unter Doppelbelastung
Die Berliner Demonstration der Gewerkschaften zeigt die Spaltung ihrer Mitglieder: Angestellte des Bundes feiern ihre Lohnerhöhung, die Berliner Beschäftigten sind gereizt und hadern mit Ver.di.
Die Arbeitslosenzahl in Berlin ist im April weiter gesunken. Zum Monatsende waren 244.804 Menschen erwerbslos gemeldet - 3.439 weniger als im März und 26.930 weniger als im April vergangenen Jahres. Die Arbeitslosenquote sank auf 14,5 Prozent. Vor einem Jahr hatte sie bei 16,1 Prozent gelegen.
Deutlicher könnte der Gegensatz nicht sein: Zwei Bundesbeamtinnen lassen sich auf dem DGB-Maifest am Brandenburger Tor die Sonne ins Gesicht scheinen. Sie loben den bombigen Tarifabschluss, den die Gewerkschaft Ver.di Mitte April ausgehandelt hat. "Fast 8 Prozent zusätzlich - wir sind echt zufrieden." Einige Meter weiter, gleiches Fest, andere Stimmungslage: Angestellte des öffentlichen Dienstes in Berlin stehen in kleiner Runde zusammen und halten die Bierbecher wie Schutzschilde vor sich: "Ich erwarte von der Gewerkschaft, dass es zumindest nicht schlimmer wird", meint ein Verwaltungsangestellter. Zwar votierte er wie über 85 Prozent der Ver.di-Mitglieder für einen unbefristeten Streik - doch kampfeslustig sieht er nicht aus.
Für den Deutschen Gewerkschaftsbund und seine Mitgliedsgewerkschaften bleibt Berlin ein schwieriges Pflaster. Obwohl die Stadt seit Jahresbeginn einen Streik nach dem anderen erlebt, ist der Zulauf zur traditionellen Großdemo am 1. Mai eher mau. Mehrere tausend Menschen marschierten nach Angaben der Veranstalter für das Motto "Gute Arbeit muss drin sein".
Das Land Berlin, das 2003 aus der Tarifgemeinschaft der Länder ausgetreten ist, fährt seine eigene Tarifpolitik. Angesichts der kritischen Haushaltslage fällt es Ver.di schwer, mit Erfolgen für sich zu werben und ihre Kernziele kürzer Arbeitszeiten und höhere Löhne durchzusetzen.
Die Beschäftigten der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) streiken seit Anfang März für Lohnerhöhungen. Für diesen Freitag sind neue Verhandlungen angesetzt. Ver.di-Verhandlungsführer Frank Bäsler steht vor einem Gewerkschaftsstand an der Straße des 17. Juni, ausnahmsweise nicht im Jogginganzug, sondern in Motorradkluft - "weil die Busfahrer streiken". Zu den Erfolgsaussichten der Tarifverhandlungen will er sich lieber nicht äußern: "Ich hatte schon so oft ein gutes Gefühl und dann wurde nichts draus."
Busfahrer Hayrettin Yekilli fordert von seiner Gewerkschaft, sie dürfe jetzt nicht nachgeben. "Die Stimmung ist gereizt, weil noch immer kein Abschluss vorliegt."
Landeschefin Susanne Stumpenhusen, die als Hauptrednerin von der Bühne wettert, schiebt die Schuld dem Land zu und prangert das Lohndiktat von SPD-Finanzsenator Thilo Sarrazin an. Gleichzeitig zieht sie gegen prekäre Beschäftigung zu Felde. Jeder zweite neue Job entstehe in der Leiharbeit, mahnt die Ver.di-Landeschefin.
Das ist nicht nur für die Betroffenen prekär, auch die Gewerkschaften geraten dadurch in eine missliche Lage. "Wir versuchen gerade, Leiharbeiter und Stammbelegschaft zusammen zu organisieren", erzählt Suse Serway. Die junge Frau ist Vertrauensfrau der IG Metall und arbeitet bei Siemens in Spandau. "Die meisten Leiharbeiter haben unheimlichen Druck und Angst um ihren Job", berichtet sie. Von 3.200 Beschäftigten bei Siemens seien 800 Leiharbeiter. Viele arbeiteten schon fünf Jahre und länger im Betrieb - für maximal 1.000 Euro brutto.
"Uns ist jeder Leiharbeiter willkommen", wirbt der altgediente IG-Metall-Funktionär Gerd Vetter. Im Frühjahr organisierte die IG Metall eine Veranstaltung speziell für Leiharbeiter. Aus ganz Berlin kamen etwa 150. "Wichtig ist nicht die Zahl, sondern dass sie überhaupt gekommen sind", sagt Vetter. Ein Ausdruck für die neue Bescheidenheit der Berliner Gewerkschaften.
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