Gewerkschaften: Servus, SPD
Weil 60 Betriebsräte und Gewerkschafter zur "Linken" überlaufen, wütet SPD-Fraktionschef Struck. Die Konkurrenz rechnet mit weiteren Übertritten
KÖLN taz Es war wie ein Besuch bei guten Freunden. Mit großem Hallo begrüßten die Versammelten den nordrhein-westfälischen DGB-Chef Guntram Schneider. Vielen alten Bekannten schüttelte der oberste Gewerkschafter des Landes die Hände, bevor er ans Rednerpult schritt. "Ich hoffe, ihr seid erfolgreich", rief er.
Der Auftritt im Mai dieses Jahres vollzog sich von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt. Denn Schneider sprach nicht auf einer Gewerkschafterkonferenz oder einer Parteiversammlung der SPD, der er seit über 35 Jahren angehört: Er besuchte die parallel im Saalbau Witten tagenden Landesparteitage von WASG und PDS. Der DGB-Chef zeigte sich angetan: "Ich denke, dass die Partei, die ihr gründen wollt, die Partei mit dem anteilig meisten Gewerkschaftsmitgliedern sein wird." Seit vergangener Woche sind es noch ein paar mehr geworden.
In einer konzertierten Aktion sind 60 Gewerkschaftsfunktionäre und Betriebsräte der Linken beigetreten. In einem Aufruf unter dem Motto "Jetzt geht es los!" riefen sie "alle noch zögernden Kolleginnen und Kollegen" auf, ihrem Beispiel zu folgen: "Lasst uns gemeinsam 'Die Linke' mitgründen, eine starke und gewerkschaftlich orientierte Partei der Linken in ganz Deutschland." Für viele der Gewerkschafter sei ihr Eintritt auch "die Antwort auf die herablassende Art der anderen Parteien gegenüber der Linken, insbesondere der SPD", ist das Bundesvorstandsmitglied der "Linken", Michael Schlecht, überzeugt. Auch gewerkschaftliche Führungskräfte wie Bezirksgeschäftsführer und Landesfachbereichsleiter trügen den Aufruf, betont der Chefvolkswirt im Ver.di-Bundesvorstand.
Zu den Unterzeichnern gehören neben 22 Gewerkschaftssekretären auch der Gesamtbetriebsratsvorsitzende von AEG Hausgeräte, die Betriebsratschefs von Oldenbourg, Bauer Druck, Alstom Power und der Deutschen Telekom Netzproduktion Nordwest sowie auch Hinrich Feddersen, bis vor einem Jahr Mitglied im Ver.di-Bundesvorstand. Die SPD hat das bekannteste unter den Neumitgliedern bereits vor vier Jahren verlassen.
Neun der neu eingetretenen Gewerkschafter stammen aus Nordrhein-Westfalen. "Es werden noch mehr werden", sagte der Landessprecher der "Linken", Wolfgang Zimmermann, der taz. "Es gibt weitere Ankündigungen." Auch er ist Gewerkschafter - wie beinahe alle diejenigen, die in NRW von der WASG in die "Linke" gekommen sind: Der 57-Jährige ist Vorsitzender des Ver.di-Bezirks Rhein-Wupper und Mitglied im Ver.di-Landesbezirksvorstand. Insgesamt seien seiner Partei in den vergangenen vier Wochen alleine in NRW knapp 900 Menschen beigetreten, bundesweit rund 3.500.
Dass die "Linke" dabei gerade bei der SPD wildert, alarmiert die Sozialdemokraten naturgemäß. In einem am Montag verbreiteten "Sommerbrief" hat der SPD-Bundestagsfraktionschef Peter Struck die sozialdemokratischen Bundestagsabgeordneten aufgefordert, entschlossen Front gegen die neue Partei zu machen: "Ihr seid das Führungspersonal der SPD, setzt Euch vor Ort mit diesen Rattenfängern auseinander." Die vermeintlich neue Linke sei "die alte Linke, die mit untauglichen Rezepten die Restauration des alten, nicht mehr lebensfähigen Wohlfahrtsstaates verspricht". Besonderes Augenmerk solle den Gewerkschaftern gelten: Struck rief dazu auf, nach den Ferien zu Betriebsrätekonferenzen einzuladen, um die SPD-Politik zu erklären.
Nordrhein-Westfalens DGB-Chef Schneider wird die "Linke" nicht gewinnen können. Er gehöre so lange schon der SPD an, sagte er. Auch wenn er immer unzufriedener mit seiner Partei sei, wolle er ihr treu bleiben. Als "in die Jahre gekommener Reformist".
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