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Gewaltfreiheit: Norm oder Realität?

■ Über die historische Verlogenheit der Friedensdebatte

Eine große Mehrheit der Delegierten der Grünen hat sich auf dem Sonderparteitag gegen den Einsatz von Militär auch im Rahmen kollektiver Sicherheit ausgesprochen. Damit hätte ich keine Probleme, wenn das im Kontext einer Kritik an den vorherrschenden Organisationsformen, Praktiken und Entscheidungsstrukturen der UNO passiert wäre. Womit ich erhebliche Schwierigkeiten habe, sind die Fundamentalsätze, mit denen die Abstinenz begründet wird: „Nur Gewaltfreiheit führt zum Frieden“ und „mit Militär kann man keine Kriege beenden“. Das soll ja nicht nur politische Programmatik sein, sondern kommt im Gewande von Seins-Sätzen über das Wesen der Geschichte daher.

Wie Menschen solche Sätze sagen können, die sich zur Linken rechnen und in einem Land aufgewachsen sind, das vor gerade mal 50 Jahren Europa und die Welt mit einem Eroberungs- und Vernichtungskrieg überzogen hat, das kann ich einfach nicht nachvollziehen. Ich empfinde diese Sätze als Hohn gegenüber den Frauen und Männern, die ihr Leben im Widerstand verloren haben; als Hohn gegenüber den Juden und Jüdinnen, die zu den Partisanen gegangen sind, weil sie sich nicht einfach so abknallen lassen wollten; als Hohn auf die vielen Soldaten und Soldatinnen der Alliierten, die ihr Land und/oder ihre Freiheit gegen die deutsche Aggression verteidigt haben. Ich betrachte mich als ganz und gar unheroischen Mann, aber mich empört die historische Verlogenheit in diesen heroisch-pazifistischen Aussagen.

Das kambodschanische Volk hätte solche Sätze zur Regierungszeit Pol Pots und anläßlich der vietnamesischen Intervention, die dieses Massenvernichtungsregime mit Gewalt beseitigte, vermutlich als ausgesprochen zynisch empfunden. Oder das ugandische unter Idi Amin, das froh war, seinen Schlächter mit Hilfe des tansanischen Militärs loszuwerden. „Nur Gewaltfreiheit führt zum Frieden!“ „Mit Militär kann man keine Kriege beenden!“ Rufen wir das auch den vielen tausend Eingeschlossenen in Bosnien-Herzegowina zu, die vermutlich den kommenden Winter nicht überleben werden, wenn ihre Besatzer nicht endlich Nahrungsmittel und medizinische Hilfe durchlassen – wozu sie aller Voraussicht nach gezwungen werden müssen – gewaltfrei?

Hätte Ludger Volmer doch gesagt: Wir wollen eine Außenpolitik, die es weniger wahrscheinlich macht, daß Zwang oder gar Gewalt angewendet werden. Wir wollen ein Instrumentarium der kollektiven Sicherheit, das nicht in den klassischen Kategorien der Kriegführung befangen ist. Wir wollen eine radikale Reform der Vereinten Nationen, die ihnen wirksame Instrumente der nicht- militärischen Konflikt-Intervention und eigene, speziell ausgebildete Blauhelm-Kontingente an die Hand gibt, mit denen sie gegebenenfalls Waffenstillstände absichern und humanitäre Hilfe durchsetzen können. Hätte er doch gesagt, es gibt Situationen, in denen auch der Verzicht auf die Androhung bzw. Anwendung von Gegengewalt die Gewalt vermehren kann, oder wenigstens, es gibt Situationen, in denen weder gewaltfreie noch gewaltsame Mittel die Lage entscheidend verbessern können... Aber er und eine breite Mehrheit haben es nicht gesagt; der Preis: eine Verbiegung der Historie und eine Verharmlosung der Massenvernichter dieser Welt. Gert Krell, Forschungsgruppenleiter bei der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, Frankfurt

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