Gewaltfeier Widerstand in Palästina: "Sie schlagen und schießen auf uns"
Das palästinensische Dorf Bilin ist zum Symbol des gewaltfreien Kampfes gegen die israelische Besatzung geworden. Notwendig sei aber vor allem internationaler Druck auf Israel, sagt Mohammed Khatib
taz: Herr Khatib, Sie leben in dem palästinensischen Dorf Bilin, das ein Symbol für gewaltfreien Widerstand gegen die Mauer und die Siedlung ist, die Israel im Westjordanland baut. Hat Ihr Protest Erfolg?
Mohammed Khatib: Im September 2007 hat der Oberste Gerichtshof in Israel über den Verlauf der Mauer entschieden - und zwar zu unseren Gunsten. Landwirtschaftliches Nutzland, Olivenbäume und Teile des Dorfes dürfen nicht abgetrennt werden. Doch ein neuer exakter Verlauf ist nicht festgelegt worden.
Dann war Ihre Klage erfolgreich?
Zum Teil. Denn zugleich hat das Gericht eine Erweiterung der israelischen Siedlung in unserer Nähe legitimiert. Obwohl auch diese Siedlung Unrecht ist, die sich, wie alle Wohnblocks, Landraub verdankt.
Haben Sie gegen die Siedler protestiert?
Ja, kürzlich als die Siedler einen Außenposten errichten wollten. Wir stellten uns unter einen Wohnwagen, der an einem Kran hing, und erklärten, dass wir dort bleiben würden, weil dies unser Land ist. Gleichzeitig haben wir per Handy die israelische Polizei verständigt. Wir waren drei und wurden von etwa 15 Personen zusammengeschlagen. Wir wurden verletzt, aber wir blieben und haben uns nicht gewehrt. Als die Polizei eintraf, hat sie uns verhaftet, nicht die Siedler. Erst eine israelische Friedensaktivistin hat eine Ambulanz gerufen.
Was haben Sie für ein Verhältnis zu den Siedlern?
Ich versuche, mit ihnen zu reden. Und zu erklären, dass wir uns gegen sie wenden, weil sie Teil der Besatzung sind und nicht, weil wir sie als Menschen ablehnen. Wenn sie unsere Freunde werden wollen, müssten sie unseren Grund und Boden verlassen.
Aber Gewalt geht auch von palästinensischen Gruppen aus, die Attentate auf israelische Zivilisten verüben. Der Konflikt zwischen Fatah und Hamas war ebenfalls blutig.
Es gibt auch in Palästina Gewalt. Aber es gibt einen Unterschied zwischen dem Recht, auf eine militärische Besatzung zu reagieren, und dieser Besatzung selbst. Mit dem gewaltfreien Widerstand wollen wir einen erfolgreichen Weg zeigen und die Spirale der Gewalt stoppen. Bei den internen palästinensischen Problemen hoffe ich, dass gewaltfreie Lösungen gefunden werden.
Hat Ihr gewaltfreier Widerstand denn überhaupt eine Chance? In den globalen Medien ist der Nahe Osten doch fast nur, wenn es um Gewalt geht.
Es stimmt, dass eine gewaltfreie Demo in Biliin oder anderswo keine Meldung wert ist, wenn anderswo geschossen wird. Das hohe Gewaltniveau führt auch dazu, dass viele nicht an Gewaltfreiheit glauben - wie sollten sie auch? Aber durch den gewaltfreien Widerstand haben sich die Schwarzen in Südafrika befreit. Auch in Indien war er erfolgreich. In Palästina brauchen wir dafür die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft.
Wie verhalten sich die israelischen Soldaten gegenwärtig bei Ihren wöchentlichen Demonstrationen in Bilin?
Aggressiver als je zuvor. Offenbar sollen die Demos in Bilin um jeden Preis beendet werden. Sie schlagen uns und schießen auf uns. In den letzten Wochen wurden zwei von uns durch Schüsse verletzt.
Arbeiten Sie auch mit Israelis zusammen?
Ja, es demonstrieren nicht nur Palästinenser, sondern auch Israelis, Deutsche, US-Bürger etc. Und zwar nicht gegen, sondern für etwas: für Frieden, Gerechtigkeit und Sicherheit für alle.
Wie reagieren denn durchschnittliche Israelis auf Sie?
Gar nicht. Die Israelis wissen, dass sie Besatzer sind, aber sie stecken den Kopf in den Sand. Sie fahren auf Straßen durchs Westjordanland, die nur sie benutzen dürfen - damit sie uns Palästinenser nicht sehen müssen. Aber früher oder später werden sie verstehen, dass sie sich mit der Mauer in einem Gefängnis selbst eingemauert haben. Wenn die internationale Gemeinschaft sie boykottiert, werden sie merken, dass sie ein Problem haben.
Sie fordern einen Boykott Israels?
Ja, die Siedlungen im Westjordanland sind nach internationalem Recht illegal. Daher bitte ich alle offiziellen Vertreter in Europa, Druck auf Israel auszuüben, das internationale Recht zu respektieren und sich vom palästinensischen Land zurückzuziehen. Wenn das nicht klappt, gibt es einen gewaltfreien Weg, Frieden und Gerechtigkeit nach Palästina zu bringen - den Boykott, so wie gegen Südafrika.
Plädieren Sie wirklich für einen generellen Boykott israelischer Waren?
Der Entzug von Investitionen ist ein anderer Weg. Wir wollen nicht, dass ärmere Leute in Israel geschädigt werden, sondern dass ein vernünftiger Weg gefunden wird, damit Israel internationales Recht umsetzt. Wenn jemand meint, dass der Boykott falsch ist - gut, dann soll er einen anderen Weg vorschlagen.
INTERVIEW: MARTIN FORBERG
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Scholz fordert mehr Kompetenzen für Behörden