Gewaltdebatte im deutschen Fußball: "Drangsalierung statt Dialog"
Pyrotechnik erlauben? Stehplätze verbieten? Vertreter des DFB und der DFL bekennen sich vor einem Fankongress zwar zum Dialog – drohen aber mit Repressalien.
![](https://taz.de/picture/232733/14/fussball_polizei_osterei.jpg)
Es ist eine Veranstaltung, die für den Fußball und seine Fans wegweisend sein kann: Im einst größten Kino der ehemaligen DDR, dem zur Event-Location umgebauten Kosmos an der Karl-Marx-Allee in Berlin, findet am Samstag und Sonntag ein Fankongress statt, der auf Kommunikation statt Konfrontation setzt. Und auf eine gleichberechtigte Auseinandersetzung mit der vielschichtigen Problematik.
Gerade erst hat der Gewaltexzess beim Hamburger Hallenturnier Schweinske-Cup die jahrzehntelang gepflegte Tradition einer familienfreundlichen Veranstaltung konterkariert und deutlich gemacht, dass es mit reflexartigen Forderungen nach noch mehr Repressionen nicht getan ist.
"Dass ein Diebstahl eines Banners in die totale Eskalation bei einem Hallenturnier mündet, ist nicht akzeptabel. Wir wollen einerseits die einzigartige Fankultur in Deutschland erhalten. Andererseits sollen weder Repressionen noch widerrechtliche Handlungen der Fanszene diese selbst gefährden", sagte Holger Hieronymus, das für den Spielbetrieb zuständige Vorstandsmitglied der Deutschen Fußball-Liga (DFL) am Dienstag bei einem vierstündigen Hintergrundgespräch in Frankfurt.
Der Exprofi ist bei dem von der bundesweiten Faninitiative ProFans organisierten Kongress ebenso als Referent eingeladen wie Hendrik Große Lefert, der neuen Sicherheitsbeauftragten des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Der Gesprächs- und Klärungsbedarf ist nämlich gewaltig.
Neuer Tiefpunkt
Das Jahr 2011 manifestierte einen Tiefpunkt: Ausschreitungen, Krawalle und Bestrafungen bestimmten die Berichterstattung und schädigten das öffentliche Bild des friedlichen Teils der Anhängerschaft. "Der Alltag von Fans ist bestimmt von Drangsalierung statt Dialog", bemängelt die Faninitiative. "Es wird nur von Partnerschaften zwischen den Verbänden, Vereinen, Sicherheitsorganen, Fernsehanstalten und Sponsoren gesprochen. Fans werden nicht als Gesprächspartner auf Augenhöhe akzeptiert."
Genau deshalb sind Hieronymus und Große Lefert nun in der Hauptstadt dabei: "Wir müssen und wollen miteinander sprechen, damit uns die Themen und Werte nicht wegrutschen." Die Fülle an Verfehlungen hatte nicht nur die Gründung einer Task Force Sicherheit zur Folge, sondern auch die Politik alarmiert, die bei der Innenministerkonferenz der Länder bereits über die Abschaffung der Stehplätze debattiert hat, wie Hieronymus einräumte. Ein Horrorszenario für die Fankultur.
Für die Stehplätze treten DFB- und DFL-Vertreter weiterhin ein – nicht aber für Pyrotechnik. "Höchster Sicherheitsanspruch und der Einsatz von Pyrotechnik im Stadion sind nicht vereinbar", so Große Lefert. Der 37-Jährige ist erst seit drei Monaten im Amt und versucht sich im Grunde gemeinsam mit dem DFL-Kollegen Thomas Schneider ("Ultrakultur ist Protestkultur: Da geht es viel um Deutungshoheit") an der Quadratur des Kreises.
Große Lefert will die "Entwicklung in anderen Ländern, die ganz stark repressiv ausgerichtet sind", zwar nicht kopieren, aber er kündigt gleichfalls an: "Leute, so kann es nicht weitergehen, ihr müsst euch überprüfen. Und wir müssen den Fans deutlich machen: 'Wenn ihr das macht, erwartet euch das.' "
Geisterdebatte weckte falsche Hoffnungen
Das Abbrennen bengalischer Feuer in vielen Stadien gilt indes als zusätzliche Protestnote, weil sich über den Sommer mit Fanvertretern und DFB und DFL eine Geisterdebatte streckte, die falsche Hoffnungen bei einem Teil der Ultragruppierungen weckte.
Selbst Michael Gabriel, Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS), sprach offen davon, dass sich die damals beteiligten Fanvertreter "verschaukelt" vorgekommen sein müssten. Missverständnisse räumten die Funktionäre nun rückblickend ein, "das ist nicht gut gelaufen" (Hieronymus). Dennoch gelte: "Wir bleiben gern mit den Fans im Gespräch – aber nicht über Pyrotechnik."
Wie zum Beleg hat der 52-Jährige dazu eine Episode parat: Als er vor Silvester im Supermarkt war, legte ihm seine Frau ein Sortiment an Feuerwerkskörpern in den Einkaufswagen. So rasch wie die Dinger in seinen Korb gelangten, seien sie wieder ins Regal gewandert. "Mittlerweile hege ich gegen Pyrotechnik eine gewisse Phobie. Stellen Sie sich mal vor, dass es heißt: Der Hieronymus zündelt!'"
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