Gewalt in Berliner Südosten: Rechte kleben an Johannisthal
In Johannisthal häufen sich rechte Straftaten. Entwickelt sich der beschauliche Ortsteil zu einer rechten Hochburg wie das angrenzende Schöneweide?
BERLIN taz | Die Spuren rechter Umtriebe sind nicht mehr zu übersehen. NPD-Plakate kleben zu Hunderten an Postkästen, Altkleidercontainern und Bäumen. Darauf stehen Sprüche à la: „Ist der Ali kriminell – in die Heimat, aber schnell“. Daneben Hakenkreuze oder Gekritzeltes wie „Wir sind wieder da: SA, SS, Sieg Heil“.
Johannisthal ist eigentlich ein beschaulicher Ortsteil von Treptow-Köpenick. Die bunten, viergeschossigen Gebäude der in den 1960er Jahren entstandenen Plattenbausiedlung Johannisthal-Süd werden eingerahmt von Einfamilienhäusern, von großzügigen Dreigeschossern und dem Teltowkanal. 20.000 Einwohner hat Johannisthal derzeit, viele sind bereits im Rentenalter. Mit Neonazis brachte man das Viertel bisher nicht in Verbindung. Das änderte sich jedoch in den vergangenen Monaten: Seitdem taucht regelmäßig rechtsextreme Propaganda auf.
Und dabei bleibt es nicht: Vor wenigen Tagen wurde ein junger Mann beim Entfernen von NPD-Plakaten von einem Vermummten angegriffen. Er bekam ein brennendes Gas ins Gesicht gesprüht. Ein Passant griff ein. Ende Mai wurden Jugendliche beim Entfernen von braunen Pamphleten attackiert und von Rechten durch die Straßen gehetzt. Anzeige erstatteten sie nicht – aus Angst, ihre Personalien könnten in falsche Hände geraten, wie die taz erfuhr.
Nach rechten Vorfällen im Berliner Südosten rufen zivilgesellschaftliche Gruppen und die Landesvorsitzenden von SPD, Grünen, Linkspartei und Piraten am Montag zu einer "Solidaritätskundgebung" auf; um 17.30 Uhr am S-Bahnhof Schöneweide.
Die SPD verlangt einen "höheren Verfolgungsdruck" gegen rechte Gewalt. Auf Übergriffe von Neonazis müsse "mit Härte" reagiert werden, so Fritz Felgentreu, Vizelandeschef der SPD. Die Grüne Clara Herrmann fordert, keine "No-go-Areas entstehen zu lassen". Die Jusos wollen eine eigene Taskforce. Die Situation habe sich mit herkömmlichen Ermittlungen nicht verbessert, so Juso-Landeschef Kevin Kühnert. "Die Sicherheit derer, die sich gegen rechts engagieren, muss uneingeschränkt gewährleistet sein."
Erst am Donnerstagabend wurde ein 17-Jähriger, Mitglied des SPD-nahen Jugendvereins Falken, in Britz von einem Maskierten als "linke Zecke" beschimpft und ins Gesicht geschlagen, als er einen rechten Aufkleber überklebte. Das Opfer erlitt Prellungen. In der letzten Woche wurden zweimal Scheiben des Jusos-Büro in Oberschöneweide eingeschlagen, einem Linken-Politiker in Adlershof ein Stein ins Fenster geworfen, sein Briefkasten gesprengt. (ko)
Im Juni traf es sogar Bezirksbürgermeister Oliver Igel (SPD) sowie den linken Bezirkspolitiker Hans Erxleben. Beide wurden von betrunkenen Rechten aus einer Kneipe heraus angepöbelt und beleidigt. Nur die vor Ort anwesende Polizei – Igel und Erxleben hatten für eine Aktion im Kiez um Polizeipräsenz gebeten – konnte verhindern, dass die Rechten Steine warfen. Anfang August verübten Unbekannte einen Anschlag mit Steinen und Böllern auf das Haus des stellvertretenden Juso-Landeschefs Nico Schmolke. Der Briefkasten und ein Fenster wurden zerstört. Die Polizei geht von einem rechten Hintergrund aus.
Das Zentrum für Demokratie hat 2011 bereits 24 rechte Vorkommnisse in Johannisthal vermerkt, vorwiegend Propagandadelikte. Seit dem späten Frühjahr registriert das Zentrum einen deutlichen Anstieg in Johannisthal. Entwickelt sich hier eine zweite Neonazihochburg im Bezirk Treptow-Köpenick, ein zweites Schöneweide?
Nazis in der Kneipe
Gisela H. ist 77 Jahre alt und wohnt seit 1965 im Kiez, Erstbezug. „Mein Sohn war drei Jahre alt und meine Tochter gerade geboren“, erinnert sich die Rentnerin, die bis kurz nach der Wende als Technische Zeichnerin arbeitete. Vor allem Akademiker mit Kleinkindern hätten in den 1960ern in Johannisthal Wohnungen bekommen. Die Akademie der Wissenschaften, das DDR-Fernsehen und Synchronstudios waren nicht weit. Wie Gisela H. sind die meisten geblieben.
„Das Wohnumfeld stimmt, ich kenne alle Nachbarn“, sagt die alte Dame, die ein elegantes türkisfarbenes Kostüm und eine Perlenkette trägt. Für Politik interessiere sie sich nicht. Aber dass die Rechten jetzt in der Kneipe „Zur Sturmecke“ rumsitzen und besoffen durch die Straßen ziehen, das mache ihr Angst. H. beruhigt sich selbst: „So Alten wie mir“, hofft sie, „werden sie wahrscheinlich nichts tun.“
Die „Sturmecke“ ist jene Kneipe, aus der heraus Bezirksbürgermeister Igel angepöbelt wurde. Ob es ein rechter Treffpunkt ist wie der zwei Kilometer entfernte „Henker“ in Schöneweide? Yves Müller vom Zentrum für Demokratie zuckt mit den Achsen. „Wir wissen es nicht. Bisher kennen wir nur diesen rechten Vorfall dort. Aber die Kneipe müssen wir im Auge behalten.“
Auch Klaus M. behält die „Sturmecke“ im Auge. Der 74-jährige Rentner wohnt 400 Meter davon entfernt und hat, wenn er einkaufen geht, seit einigen Wochen immer einen Spachtel dabei – um die NPD-Propaganda zu entfernen. „Zumindest wird in der Kneipe rechtes Publikum toleriert“, sagt er. Die Plakate klebten so fest, „dass es mehrere Tage regnen muss, damit man das Zeug abkriegt“, sagt der wortgewandte Mann, der sich gegen rechts engagiert. Viele sind das nicht in Johannisthal.
Bisher gilt Schöneweide als Tummelplatz von Berliner Rechtsextremisten. In der dortigen Brückenstraße findet sich die rechtsextreme Kneipe "Zum Henker", nebenan der Militaria-Laden des Berliner NPD-Chefs. Auch andere Kneipen im Umkreis werden von Rechten besucht. Die Polizei listet seit August 2011 allein für die Brückenstraße zwölf rechte Straftaten auf.
Die einstige Hochburg Weitlingkiez in Lichtenberg hat dagegen die meisten Rechten vertrieben. Einzig in der Lückstraße betreiben junge Neonazis um das Netzwerk "Nationaler Widerstand" in einem Ladengeschäft einen internen Treffpunkt.
Johannisthal stand vor Jahren schon mal im Fokus der Rechten. Hier wohnten Aktivisten der 2005 verbotenen Kameradschaft "Berliner Alternative Südost", hier betrieben Neonazis 2003 heimlich in einem Keller über Wochen einen Treff namens "Wolfsschanze". (ko)
Ohne Senioren geht nichts
Um der wachsenden rechten Präsenz zu begegnen, plant das Zentrum für Demokratie für September einen runden Tisch mit Vertretern von Parteien und Kirchen. Aber die meisten Bewohner gehören weder Parteien noch Kirchen an. „Wir müssen die Leute erreichen, wenn wir nachhaltig etwas ändern wollen“, sagt Klaus M. Und er weiß, dass mit den „Leuten“ in Johannisthal vor allem solche gemeint sind, die wie er und Gisela H. zwischen 70 und 80 Jahre alt sind und seit einem halben Jahrhundert hier wohnen. Ohne Senioren geht nichts in Johannisthal.
Doch wie schafft man es, sie zu erreichen? Es gebe Computerkurse, Seniorensportgruppen und vor allem funktionierende Hausgemeinschaften, die man ansprechen könne, sagt Klaus H. Die Voraussetzungen seien günstiger als im benachbarten Schöneweide, wo viele frustrierte Langzeitarbeitslose wohnen, die sich nicht an Rechten störten.
Eine weitere Frage drängt sich auf: In Johannisthal werden durch die demografische Entwicklung bald viele Wohnungen frei. Wer zieht da rein? „Es gibt rechte Zuzügler aus Rudow“, sagt Klaus M. „Darum haben wir ja das Problem.“ Er weiß, dass es schwierig werden wird, weiteren Zuzug zu verhindern: „Einen Gesinnungstest bei der Wohnungsvergabe kann es ja nicht geben.“
Der 21-jährige SPD-Nachwuchspolitiker Nico Schmolke, dessen Haus die Rechten attackierten, sieht die Situation ein wenig anders. „Die Rechten sind nicht alle Zugezogene. Manche sind auch in Johannisthal aufgewachsen.“ Dass man hier nichts erreichen kann, ohne die zahlreichen Senioren anzusprechen, weiß auch der stellvertretende Juso-Chef. Doch Schmolke meint, es sei schon was in Bewegung gekommen: Etwa die Kiezspaziergänge im Mai und Juli, auf denen Bewohner mit Bezirksamt und Antifa rechte Propaganda entfernten. „Da haben sich Bewohner kennengelernt, die nicht zulassen wollen, dass hier ein zweites Schöneweide entsteht“, sagt er. Dadurch fühle man sich nicht mehr so allein.
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