: Gewalt-Spirale: Bürgerkrieg in Natal
■ Opferzahl der Gemetzel in der südafrikanischen Ostprovinz steigt unaufhörlich / Mandelas Appell blieb ohne Wirkung / In Durban ist die Apartheid vorläufig bis über den Tod hinaus auf den Friedhöfen festgeschrieben
Johannesburg (dpa) - Im „derzeit blutigsten Krieg der Welt“, wie die oppositionelle Wochenzeitung „Vrye Weekblad“ das Gemetzel in der südafrikanischen Provinz Natal bezeichnet, steigt die Zahl der Toten schier unaufhaltsam. Seit September 1987 wurden nach offiziellen Angaben 1.583 Menschen erschossen, erstochen, erschlagen, enthauptet oder verbrannt - die geschätzten Zahlen liegen weitaus höher.
Der Bürgerkrieg zwischen schwarzen Einwohnern der im Osten des Landes gelegenen Provinz ist ein Machtkampf zwischen politischen Organisationen, aber auch ein endloser Rachefeldzug im Mafia-Stil. Er ist zugleich eine Auseinandersetzung zwischen arm und „reich“, zwischen obdachlosen Flüchtlingen und den „etablierten“ Bewohnern der Gettos. Stammes- und Familienfehden spielen ebenso eine Rolle wie der Streit um Landbesitz, um Arbeitsplätze, um Frauen. Kirchenführer schätzen, daß in Natal 60.000 Menschen auf der Flucht sind. Der Anteil der Arbeitslosen stieg auf über 40 Prozent. Ein geordneter Schulunterricht ist in den Siedlungen zwischen Durban am Indischen Ozean und der 80 Kilometer entfernten Provinz-Haupstadt Pietermaritzburg kaum noch möglich.
Pretoria hat das Polizeiaufgebot massiv verstärkt und 1.000 Soldaten ins „Tal des Todes“ und in die anderen Unruhegebiete entsandt, doch der Konflikt fordert täglich neue Opfer.
Die wichtigsten Kontrahenten sind die Schläger-Truppe „Inkatha“ („Reisigbündel“) des Zulu-Führers Mangosuthu Buthelezi und die „Amaqabane„-Banden von Organisationen, die der Befreiungsbewegung Afrikanischer Nationalkongreß (ANC) nahestehen. Buthelezi gilt politisch als gemäßigt, doch in der Auseinandersetzung mit der Dachgewerkschaft COSATU und dem oppositionellen Sammelbecken United Democratic Front (UDF) ist bei der „Inkatha“ keinerlei Zurückhaltung zu spüren.
COSATU, UDF und andere ANC-nahe Gruppen kontrollieren hauptsächlich die Siedlungen, in denen die „bessergestellten“ Schwarzen wohnen. In der Umgebung dieser Gettos leben Flüchtlinge und Arbeitslose in selbsterbauten Wellblechhütten - Menschen, von denen angeblich viele unter Morddrohungen gezwungen wurden, sich der „Inkatha“ anzuschließen und für ihren „Schutz“ auch noch regelmäßig zu zahlen.
Durch die Schwarzen-Siedlungen ziehen auch Kinder-Armeen, die mit Qwashas (selbsgebastelten Gewehren), Pangas (Macheten), Stöcken und Messern bewaffnet sind. Das Wochenblatt „Weekly Mail“ beschreibt, wie ein jugendlicher „General“, der „Genosse Gadaffi“ genannt wird, seine Regimenter in die Bezirke „Angola“, „Lusaka“, „Moskau“ und „Libyen“ der Siedlung Ashdown verteilt: „In der vergangenen Woche haben die andern fünf von uns getötet, aber wir werden uns rächen.“
Die meisten Siedlungen von Natal liegen in dem Stammesgebiet KwaZulu, das 1977 von Pretoria für autonom erklärt wurde und von Buthelezi regiert wird. KwaZulu ist in rund 50 Einzelgebiete zerstückelt, die sich über ganz Natal verteilen. Die einheimische Polizei steht auf der Seite der „Inkatha“. Die ANC-Anhänger beschuldigen die südafrikanischen Sicherheitskräfte, die Kampftruppe Buthelezis zu bevorteilen.
Versuche, den 1985 offen ausgebrochenen Konflikt durch Verhandlungen zu beenden, hat es immer wieder gegeben. Mehrfach unterzeichneten Buthelezi und seine Gegenspieler von COSATU und UDF Vereinbarungen über ein Ende der Gewalt. Doch selbst Nelson Mandela mußte erleben, daß sein Friedensappell ungehört verhallte, als er kurz nach seiner Freilassung aus südafrikanischer Haft im Februar Natal besuchte. Der Bürgerkrieg hat seitdem an Brutalität zugenommen.
In Durban am Indischen Ozean gilt die Apartheid, die der südafrikanische Präsident Frederik de Klerk abschaffen will, vorläufig bis über den Tod hinaus: Der Rat der Großstadt lehnte Dienstag abend erneut ab, die Rassentrennung an den Friedhöfen aufzuheben. „Die Zeit ist dafür noch nicht reif“, erklärte der zuständige Ausschuß. Allerdings hat Durban vor mehreren Wochen die Badestrände für Menschen aller Hautfarben geöffnet, ohne daß es Ostern zu den von manchen befürchteten Zwischenfällen kam.
Die Regierung de Klerk beabsichtigt, noch in diesem Jahr das Gesetz über die Rassentrennung in öffentlichen Einrichtungen abzuschaffen. Auf seiner Grundlage konnten die Gemeinden bisher bestimmen, ob sie die Apartheid in Parks, Schwimmbädern oder in Omnibussen aufrechterhalten wollten.
Über ein Ende der politischen Apartheid, mit der den Schwarzen das Wahlrecht vorenthalten wird, will Präsident de Klerk Anfang Mai mit der Befreiungsbewegung Afrikanischer Nationalkongreß (ANC) erste Gespräche führen.
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