Gewählt und weg: Grüner Umweltsenator geht trotzdem
Drei Tage nach dem Wahlsieg verkündet der Bremer Umweltsenator Reinhard Loske, dass er nicht mehr will. Die Grünen sind vollkommen überrascht. Neues Wahlrecht wirkt.
BREMEN taz | Kurz nach elf Uhr war es an Tag drei nach dem großen Wahlerfolg der rot-grünen Koalition, da klingelte bei einigen Spitzengrünen das Telefon: Umweltsenator Reinhard Loske will nicht mehr.
"Die Motive für diesen Schritt sind persönlicher Natur", erklärte er, er wolle sich "neu orientieren". Vor seinem Schritt in die Politik hat der heute 52-jährige Loske am Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt und Energie ökologische Wirtschaftsforschung betrieben.
In diesen Bereich wird er zurückkehren - im Wahlkampf legte er eine Broschüre unter dem Titel "Abschied vom Wachstumszwang" vor, die vorsichtig die "Konturen einer Politik der Mäßigung" umschreibt. Kernsatz: "Zu fördern ist eine Politik, die die schöpferische Kraft der Marktwirtschaft nutzt, ihr aber eine dienende Funktion für die Gesellschaft zuweist."
Das in Bremen verwendete Wahlheft-Layout hat denen, deren Name "rechts oben" platziert war, kaum Vorteile verschafft. Aber es gibt KandidatInnen, die von ganz hinten einen Sitz erkämpften. Offenbar war entscheidend, eine eigene Community mit tausend Mitgliedern mobilisieren zu können.
Elombo Bolayela ist der absolute Gewinner. Geboren ist er im Kongo. Vom Platz 41 der SPD-Liste warb er fast 3.000 Stimmen - Rang fünf bei den Personenwahlen und 1.000 mehr als die Bildungssenatorin.
Sigrid Grönert überraschte bei der CDU. Die Hausfrau von Listenplatz 25 ist Mitglied einer großen evangelikalen Gemeinde.
Mustafa Öztürk, bisher schon im Parlament, war bei den Grünen "nur" auf Platz 24 gekommen, also durchgefallen. Bei der Wahl holte er halb so viele Stimmen wie der Umweltsenator.
Cindi Tuncel hat die schlechte Platzierung von der Mitgliederversammlung der Linken korrigiert: Er bekam fast so viele Personen-Stimmen wie die Spitzenkandidatin der Linken.
Joachim Feldmann, Präses der Handwerkskammer, stand auf der CDU-Liste als "Quereinsteiger", für das neue Wahlrecht aber zu weit hinten. Seine privat finanzierten halbseitigen Anzeigen in der Bild haben nichts genützt. 23 CDU-KandidatInnen landeten vor
Den Bremer Grünen wünscht Loske "einen Kurs der Eigenständigkeit gegenüber dem Koalitionspartner". Eine Kritik an der Politik der Grünen in den letzten Jahren soll aus dieser Formulierung nicht herausgelesen werden, versicherte Loske.
Die Grünen in Bremen haben nun ein Problem mehr. Nach dem Wahlergebnis vom Sonntag seien sie mit zwei von sieben Senatoren deutlich unterpräsentiert, sagt der Fraktionsvorsitzende Matthias Güldner. Nun müssen sie aber zunächst einen Ersatz für das Umweltressort präsentieren. Als "drittes" Ressort wird über das Bildungsressort spekuliert. Gestern Abend wurde aber zunächst eine Komission für die Koalitionsverhandlungen mit der SPD gewählt.
Mit Spannung ist in den Parteien gestern der Schlussspurt bei der Auszählung der Wahlstimmen verfolgt worden. Anders als in Hamburg gibt es in Bremen keine "Wahlkreise". Das bedeutet: Wer seine fünf Stimmen direkt an Personen gegeben hat und nicht an Listen, stärkt den Anteil der Kandidaten aus dem "Personen-Korb", die in die Bürgerschaft einziehen.
Bei der SPD zum Beispiel erwies die zweite Hälfte der bisher als "sicher" geltenden Listenplätze sich als unsicher. Ein Viertel aller Mandate wurde mit KandidatInnen besetzt, die nach der Liste ihrer jeweiligen Partei keine Chance gehabt hätten.
Bei der CDU hat die Staatsanwältin Gabi Piontkowski sich von Listenplatz 13 auf Platz 3 der persönlichen Stimmen hochgearbeitet - und liegt damit deutlich vor dem Ergebnis eines früheren Wirtschaftssenators.
Bei den von Flügelkämpfen gebeutelten Linken haben der Stimmenverlust und die Möglichkeit, einzelne KandidatInnen direkt nach vorn zu wählen, die Mehrheitsentscheidungen der Mitgliederversammlung durcheinander gerüttelt. Der von der Mehrheit der Mitglieder abservierte derzeitige Fraktionsvorsitzende Peter Erlanson wird in der neuen Fraktion wieder vertreten sein - dank seiner Popularität als Krankenhaus-Betriebsrat.
Bei den Grünen musste der "Erfinder" des neuen Wahlrechts, Wilko Zicht von "Mehr Demokratie", gestern Abend noch um seinen Einzug in die Bürgerschaft zittern. Er hat rund 1.000 Direktstimmen bekommen.
Das Desaster der NPD wird auch an den Stimmen deutlich, die der aus Dresden eingeflogene Spitzenkandidat Jens Pühse bekommen hat - ganze 303.
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