Getreidepreise: Spekulation auf Weizen am Halm
Die Nachfrage nach Getreide steigt, und das ist vor allem gut für die Händler an den Produktenbörsen. Ob Getreide wirklich knapp wird, ist noch unklar.
Die Getreidepreise steigen, und dem Bioethanolwerk in Schwedt an der Oder wird der Hahn abgedreht. "Pro Liter produziertes Ethanol erzielen wir deutlich weniger als vor einem Jahr", sagte eine Unternehmenssprecherin am Montag. Im ersten Halbjahr hat das Werk einen Umsatz von knapp 58 Millionen Euro, aber fast 6 Millionen Euro Verlust gemacht - im September wird deshalb die Produktion eingestellt. Denn seit einem Jahr haben sich die Getreidepreise verdoppelt. Im zweitgrößten Bioethanolwerk hierzulande wurde im Januar noch 1 Million Tonne Getreide zu Agrosprit verarbeitet, jetzt ist es nur noch die Hälfte.
Dabei ist ein Grund für die gestiegenen Getreidepreise auch der höhere Nachfrage nach Agrosprit. Aber eben nicht nur - und die Folge spürt auch das Werk in Schwedt. Wo wenig Angebot ist, steigen üblicherweise die Preise. Bei Getreide jedoch legen die Preise schon sehr stark zu, wenn nur ein wenig zu wenig auf dem Markt ist. "Diese Situation haben wir gerade", sagt Franz Sinabell, Agrarexperte vom Wiener Wirtschaftsforschungsinstitut.
Wie die Ernte wird, hängt von vielen menschlich beeinflussbaren Faktoren ab, aber auch vom Wetter. Wegen der Trockenheit im Frühjahr haben die Landwirte in diesem Jahr bisher 8,7 Prozent weniger Getreide geerntet als im Vorjahr, gab der Deutsche Bauernverband gestern bekannt. Mit knapp 40 Millionen Tonnen liege das Ergebnis noch unter dem unterdurchschnittlichen Niveau von 2006. Auch EU-weit, von Spanien abgesehen, sehen die Ernteergebnisse aufgrund der Witterung mager aus. Und die Vorräte sind rasch aufgebraucht. In Deutschland seien die Brotgetreidebestände geräumt, hieß es vom Verband deutscher Mühlen schon Ende Juli.
Gleichzeitig wird weltweit der Hunger nach Getreide größer, vor allem für die Fleischproduktion: In Südostasien und Südamerika essen die Menschen mehr Fleisch und kommen an die Gewohnheiten in Europa und den USA heran. Für die Produktion von einem Kilo Fleisch brauchen Mäster etwa fünf Kilogramm Getreide. Die Nachfragen aus China und Indien gingen vor allem aber an der Warenterminbörse in Chicago ein, sagt Getreideexperte und Broker Michael Kolisch. "Wir in Deutschland sind zu teuer." Dennoch: Die Auswirkungen werden auch hier spürbar. "Man guckt bei den Preisentwicklungen auf die USA - und umgekehrt. Das ist ein Wechselspiel."
Nicht alle kaufen, weil sie wirklich Getreide haben wollen. Manchen genügt das Papier - und die Hoffnung auf weiter steigende Nachfrage und Preise. Anders als etwa bei Kakao oder Kaffee gibt es hier nicht einige wenige große Player, sondern "zigtausend Spekulanten", sagt Kolisch. Als sich vor einigen Jahren der Kakaopreis binnen einem Jahr verdoppelt hatte, lag das zum einen am Krieg in der Elfenbeinküste, aber auch an einem britischen Handelshaus, das rund 5 Prozent der Kakaoweltproduktion aufgekauft und damit für eine künstliche Verknappung gesorgt hatte.
Das ist bei Getreide nicht der Fall. Fondsgesellschaften mischen auf dem lukrativen Markt mit dem Grundnahrungsmittel aber ebenfalls mit. Und auch die Bauern selbst werden zu "Spekulanten", etwa wenn sie "Absicherungsgeschäfte" tätigen und ihre Ware auf dem Papier an der Börse veräußern, statt sie dem Müller zu verkaufen, der ihnen im Moment weniger bietet.
Von den Preissteigerungen werden dieses Jahr laut Bauernverband aber alle Landwirte profitieren: Diese können demnach mit einem Einkommensplus von 5 bis 10 Prozent rechnen. "Auch Hersteller von Saatgut und Düngemittel werden profitieren", meint Agrarexperte Sinabell. "Die größte Scheibe schneidet sich aber bestimmt der Lebensmittelhandel ab." Die Verbraucherzentralen rechnen damit, dass nach Milch und Butter auch andere Waren teurer werden. Auch das Bäckerhandwerk hat bereits gewarnt, dass Brot bald mehr kosten wird.
Der Rohstoffe-Analyst der Deutschen Bank in London, Michael Lewis, glaubt, dass "die Preise bis Anfang 2009 weiter steigen". Seine spekulative Hoffnung teilt Wirtschaftsforscher Sinabell überhaupt nicht: "Das ist jetzt ein Ausreißer." Wenn Preise attraktiv seien, würden Landwirte in bessere Produktionstechniken und besseres Saatgut investiert - schließlich wollen sie möglichst viel verdienen. Doch mit wachsenden Erträgen und steigendem Angebot würden die Preise wieder fallen. Außerdem bleibt - das Wetter. Wenn die Ernte nächstes Jahr gut wird, "kann es mit dem derzeit hohen Preisniveau dann wieder vorbei sein."
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