Getötete Zivilisten in Afghanistan: "Kollateralschäden" verdreifacht

Das US-Militär untersucht erneut den Tod von Zivilisten beim Luftangriff in Herat. Laut Human Rights Watch sterben heute dreimal so viele Unbeteiligte wie vor zwei Jahren.

Beim US-Luftangriff in Herat kamen laut afghanischer Polizei über 90 Menschen ums Leben. Bild: dpa

BERLIN taz Die US-Streitkräfte in Afghanistan wollen einen Bombenangriff im Westen des Landes erneut untersuchen, bei dem vor zwei Wochen nach Angaben der UN und der afghanischen Regierung 90 Zivilisten getötet wurden, meist Frauen und Kinder. Der US-Oberkommandierende in Afghanistan, General David McKiernan, sagte am Sonntag in Kabul, es gebe "neue Indizien", die eine erneute Untersuchung des Angriffs vom 22. August in der Provinz Herat rechtfertigten. Welche Indizien das seien, sagte er ebenso wenig wie ein Armeesprecher, der explizit danach gefragt wurde.

Nach Medienberichten sind Filmaufnahmen aufgetaucht, die eine höhere Opferzahl nahelegen und damit dem Ergebnis einer ersten Untersuchung durch das US-Militär widersprechen. Laut New York Times zeigt ein Video mindestens elf tote Kinder. Ein Arzt aus einer Klinik nahe des bombardierten Dorfes Asisabad berichtete dem Blatt von 50 bis 60 toten Zivilisten. Die US-Armee war zu dem Ergebnis gekommen, dass bei dem Luftangriff 30 bis 35 Taliban und 5 bis 7 Zivilisten starben.

Dass immer wieder Zivilisten Opfer der internationalen Truppen in Afghanistan werden, im Militärjargon zynisch als "Kollateralschäden" bezeichnet, untergräbt den Rückhalt der Truppen in der Bevölkerung, zu deren Schutz sie offiziell da sind. Nach jedem dieser wiederholten Fehlangriffe wächst der Ruf nach einem Abzug der zunehmend als Besatzer empfundenen ausländischen Soldaten.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) legte gestern einen Bericht vor, der die Bombardierungen von Zivilisten untersucht. Laut HRW unterstützte der von ausländischen Truppen verursachte Tod von Zivilisten die Rekrutierungsbemühungen der Taliban. Zwar würden mehr Zivilisten durch Handlungen der Taliban sterben, die Zivilisten auch als menschliche Schuztschilde nutzten, doch habe sich die Zahl ziviler Opfer durch US- und Nato-Luftangriffe von 2006 zu 2007 verdreifacht. 2006 seien 230 Zivilisten von den ausländischen Truppen getötet worden, darunter 116 durch Luftangriffe. 2007 seien bereits 321 durch US- oder Nato-Luftangriffe getötet worden. Für die ersten sieben Monate 2008 zählte HRW 173 Opfer durch US- oder Nato-Angriffe, darunter 119 bei Luftangriffen. Die Zahlenangaben beruhen demnach auf vorsichtigen Schätzungen, könnten also auch höher liegen. Zudem enthalten sie noch nicht die Opfer des 22. August. Laut afghanischer Regierung gab es 2008 bereits mehr als 500 zivile Opfer durch US- und Nato-Truppen.

Bei vorbereiteten Angriffen der ausländischen Truppen sind die Opferzahlen laut HRW deutlich geringer. Werden die Soldaten jedoch unvorbereitet in Gefechte verwickelt, nähmen sie auf Zivilisten weniger Rücksicht. HRW kritisiert zudem, die Reaktionen des US-Militärs auf zivile Opfer seien "unbefriedigend", Untersuchungen "einseitig, stockend und wenig transparent".

Mutmaßliche US-Tuppen haben am Montag von Afghanistan aus erneut ein Ziel in Pakistan beschossen. Dabei starben nach Angaben pakistanischer Sicherheitskreise mindestens drei Menschen, mehrere Frauen und Kinder wurden verletzt. Der Angriff habe einem Haus im halbautonomen Stammesgebiet gegolten, das von einem Taliban-Führer genutzt worden sein soll. Letzte Woche hatten US-Truppen erstmals von Afghanistan aus Bodentruppen in Pakistan eingesetzt und damit pakistanische Proteste ausgelöst.

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