Gesundheitsfonds: Konvergenzklausel abgeschafft: Teurer Kompromiss
Der Unions-Kompromiss zum Gesundheitsfonds könnte am Ende für gesetzlich Versicherte teuer werden.
BERLIN taz Es ist wie so oft im deutschen Gesundheitssystem: Der Haken an der Sache ist so gut versteckt, dass er auf den ersten Blick kaum auffällt. So ist es auch bei der Einigung zwischen Bundeskanzlerin und Unions-Ministerpräsidenten vom Ende vergangener Woche. Bei einem abendlichen Treffen konnte Angela Merkel die Provinzfürsten überzeugen, ihre letzten Bedenken gegen die Einführung des Gesundheitsfonds zum Januar 2009 aufzugeben. Doch dieser Kompromiss geht nach Einschätzung von Experten auf Kosten der gesetzlich Versicherten.
Und darum geht es: Wohlhabendere Bundesländer fürchten, ihre Krankenkassen und Ärzte könnten durch die Einführung des Gesundheitsfonds Honorare einbüßen. Deshalb setzte Bayerns CSU-Regierung Ende 2006 durch, dass die Kassen in Bayern höchstens 100 Millionen Euro pro Jahr an die gesetzlichen Krankenkassen ärmerer Länder zahlen müssen. Diese sogenannte Konvergenzklausel in der ursprünglichen Form ist seit vergangener Woche vom Tisch. Nun sollen für die Ausgleichszahlungen nicht mehr die verschiedenen Kassen untereinander aufkommen, vielmehr sollen dies die einzelnen Kassen selbst im Ausgleich zwischen den Regionen intern regeln.
Dies würde dazu führen, dass die Kassen ab 2009 bei Bedarf ihre Rücklagen anknabbern müssten. Dabei hat der Bund erst vor kurzem beschlossen, dass die Kassen Beitrags- und Steuergelder für schlechte Zeiten ansparen, um sich vor einer künftig möglichen Insolvenz zu schützen. Laut Medienberichten soll dieser Mechanismus mindestens zwei Jahre lang dauern und im ersten Jahr 500 Millionen Euro kosten.
Was auf den ersten Blick wie eine bloße Umbuchung wirkt, könnte aus Sicht des SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach für viele gesetzlich Krankenversicherte teuer werden. "Die Finanzreserven der Kassen waren auch als Puffer gegen Beitragssteigerungen gedacht. Nun könnten viele Kassen Erhöhungen oder die Einführung zusätzlicher Kopfpauschalen ankündigen, und zwar bereits Mitte nächsten Jahres", sagt Lauterbach der taz. Auch die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Birgitt Bender, hält nichts von der geplanten Verteilung der Kosten. "Von Anfang an war die Konvergenzklausel reine Flickschusterei. Nun greifen die Akteure planlos die Liquiditätsreserven an", sagt Bender.
Von diesem Kompromiss profitieren die Ärzte in wohlhabenden Ländern wie Bayern und Baden-Württemberg. Sie verdienen jetzt schon gut, doch die 100-Millionen-Euro-Regelung hätte weitere Honorarzuwächse begrenzt. Insbesondere die CSU focht für den nun gefundenen Kompromiss, sie befürchtete eine Ärztekampagne gegen den Gesundheitsfonds mitten im Landtagswahlkampf. Entsprechend nickten die Ministerpräsidenten auch das Vorhaben der Gesundheitsministerin ab, den niedergelassenen Ärzten von 2009 an mindestens 2,5 Milliarden Euro mehr an Honoraren zuzugestehen. MATTHIAS LOHRE
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich