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Gesundheitsdebatten-Chaos in den USAHakenkreuz und Grabstein

Hitzig wird in den USA die geplante Gesundheitsreform diskutiert. Gegner bezeichnen sie als "Todes-Gremium", schmieren Hakenkreuze an Bürotüren und werden handgreiflich.

Die Fronten zwischen den Befürwortern und Gegnern sind verhärtet. Eher unspektakulär ist hier die Unterstützung für das Projekt in Shaker Heights, Ohio. Bild: dpa

Es scheint, dass das wirklich heiße Vergnügen der US-Amerikaner in diesem Sommer nicht der Strand ist, sondern der Besuch von “town hall”-Meetings, sogenannten Rathaus-Debatten. Thema dieser Debatten sind nicht etwa die Rezession oder schwindende Arbeitsplätze, sondern ausgerechnet die Gesundheitsreform.

Keine Frage hat seit dem Wahlkampf im vergangenen Jahr die Gemüter mehr erhitzt, als die nach der Zukunft des maroden US-Gesundheitssystems. Die stellte US-Präsident Barack Obama im Mai offensiv dem US-Kongress, der sich dauraufhin selbst in heillosen Streitereien verzettelte.

Nachdem es dann vor der Sommerpause im Kongress Anfang August zu keiner Abstimmung über die insgesamt fünf Reformentwürfe kam, war klar: Das wird ein ungemütlicher Sommer. Lobbygruppen beider Seiten nutzen wie erwartet die parlamentarische Pause, um für breite Unterstützung ihrer Positionen in der Bevölkerung zu werben. Bei der Wahl der Mittel sind beide Seiten keinswegs zimperlich, wie US-weite Meldungen zeigen.

Was seine Wähler von staatlich verordneter Gesundheitsversorgung halten, das bekam vor wenigen Tagen David Scott, ein konservativer demokratischer Kongressabgeordneter aus Georgia zu spüren. Nicht genug dass Scott, wie viele seiner Amtskollegen im ganzen Land, ein Rathaustreffen einberufen hatte das schnell handgreiflich wurde. Einige Tage später fand der schwarze Politiker ein fettes Hakenkreuz auf seine Wahlkreis-Bürotür gesprüht.

Zuvor hatte Scott einige temperamentvolle Kritiker angeschnauzt, sie hätten sich vorher bei ihm melden können, anstatt nun das Treffen, das ursprünglich einem Highway-Projekt gewidmet war, zu torpedieren. Scott warf anschließend vor laufenden Kameras, mit einem bereits landesweit bekannten Flugblatt wedelnd, den Kritikern vor, organisiert zu sein.

Auf dem Flugblatt ist Präsident Obama zu sehen, als durchtriebener Joker im Batman-Film. Ein anderer Kongressabgeordneter aus Texas fand seinen Namen auf einem symbolischen Grabstein wieder, während anderswo US-Medien berichteten, dass Kongressabgeordnete “nur“ angeschrieen worden seien.

Der prominente demokratische Senator Arlen Specter erlebte am Dienstag bei zwei Diskussionen in Pennsylvania auch sein blaues Wunder. Er wurde von aufgebrachten Bürgerinnen als “Tyrann” beschimpft. Ein Teilnehmer versicherte dem gestandenen Politiker, ihn und seine Capitolskollegen werde Gottes gerechter Zorn ereilen.

Ein anderer schrie Specter, der Obamas Reformpläne unterstützt, ins Gesicht, Amerika werde in Russland verwandelt, womit er auf die landesweit gefürchtete “sozialistische” Medizin anspielte. Um ihn herum skandierten derweil mehrere hundert zornige Bürger: “Du dienst uns!” und “Lies gefälligst den Gesetzentwurf”.

Den medienwirksamsten Coup in all der Kakophonie teilte die Ex-Gouverneurin von Alaska und gescheiterte republikanische Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin vor wenigen Tagen aus. Die Politikerin, die ihren Gouverneursposten vergangenen Monat völlig überraschend aufgab, hatte behauptet, Obama wolle ein staatliches "Todes-Gremium" schaffen.

Dieses Gremium solle darüber entscheiden, wer es wert sei, in den Genuss von Gesundheitsfürsorge zu kommen und wer nicht. "Ein solches System ist geradezu böse", hatte Palin behauptet und damit gezielt auf Ängste angespielt, der US-Staat könne in Zukunft die Leistungen von Krankenkassen bestimmen und ältere, morbide Patienten benachteiligen.

Die USA streiten seit knapp hundert Jahren über die Einführung einer universalen, allen zugänglichen Gesundheitsversorgung. Das Gesundheitswesen in den USA gilt als das weltweit teuerste. Ärztliche Dienste und Medikamente kosten in der Regel bis zu viermal mehr als in Europa. Vor allem aber sind über 46 Millionen von 300 Millionen Amerikaner unversichert und daher dramatisch unterversorgt.

Noch am Dienstagmorgen hatte Obama einem vielfach veröffentlichten Kommentar von Parteigenossin und Parlamentspräsidentin Nancy Pelosi widersprochen. Darin rügte Pelosi intolerantes und dezidiert destruktives Verhalten bei den hitzigen Debatten als schlicht “unamerikanisch”. Obama begrüßte hingegen demonstrativ die partizipatorische Demokratie in den USA.

Doch schon am Nachmittag appellierte Obama an seine Gegner, zu Vernunft und Sachlichkeit zurückzukehren. Ausdrücklich warnte er davor, die lange überfällige Reform zu dämonisieren. Auf Palin anspielend sagte Obama bei einem Bürgertreffen in Portsmouth in New Hampshire, Kritiker versuchten, "einen Buhmann zu konstruieren, den es in Wahrheit nicht gibt". Das Publikum rief er dazu auf, nicht auf diejenigen zu hören, "die dem amerikanischen Volk Angst machen und es in die Irre führen wollen".

"Jedes Mal, wenn wir nahe dran sind, eine Gesundheitsreform durchzusetzen, schlagen die speziellen Privatinteressen zurück," sagte ein sichtlich frustrierter Obama. "Was wirklich Angst macht, ist die Situation, wenn nichts gemacht wird." Obama kündigte an, er wolle die Gesundheitsreform bis Ende des Jahres unter Dach und Fach haben.

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10 Kommentare

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  • RL
    Ralf Lankeshofer

    Wenn dann erst die US_Neocons hunderte gewaltbereite 'Demonstranten' zu Sitzungen von Obama Anhängern karren, und es hinterher zu massiven Gewaltakten kommt um missliebige Meinungen zu unterdrücken, dann haben die US_Konservativen das demokratische Diskussionniveau der deutschen Linken erreicht

  • B
    Berthold

    Solange Kranke und Schwache keine Krankenversicherung haben, sterben sie früher - ein ebenso primitives wie raffiniertes Euthanasieprogramm der US-amerikanischen "Republikaner", die solche an die Nazis erinnernde biologistische Denke dann den "Demokraten" anlasten. Sehr verwirrend, aber typisch Projektion.

  • AR
    Andreas Rosenthal

    Tja, wir sollten uns echt das Bildungssystem der Staaten zu eigen machen. Das kommt dann raus und die CDU kann nur profitieren.

  • N
    noevil

    Wenn man diese hysterischen Volkstöne aus den USA hört, kommt man aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus. Kann man denn den Leuten nicht den Unterschied erklären zwischen 'sozial' und 'sozialistisch'? Selektive Wahrnehmung scheint dort ganz besonders ausgeprägt zu sein. Man liest anscheinend nur das, was man in ein passendes Feindbild integrieren kann. Addiert man dies dann auch noch mit fehlendem Leseverständnis, dann kommt die Volksseele schwupp-di-wupp zum Kochen und kocht genau das brisante Süppchen, das ihm von der Pharma-, Ärzte- und Versicherungslobby in trauter Einheit mit dem konservativen Gegner vorgesetzt wird.

     

    Wie kann man sich nur derart benutzen lassen, das fragt jemand aus einem Volk, das sich in der Vergangenheit auch schon benutzen lassen und die Finger noch viel viel schlimmer verbrannt hat? Deshalb rufen ähnliche Vergleiche aus den USA hier auch solch heilloses Entsetzen hervor. Haben denn diese Leute überhaupt von nichts eine Ahnung, möchte man sich fragen.

     

    Wissen die Leute dort eigentlich, dass hier viele mangels Zahlungsfähigkeit aus den Privatkassen Hinausgekündigte sich fast vor Freude überschlagen haben, als sie bei uns in Deutschland endlich per Gesetz in den Genuss einer preiswerten Krankenversicherung kamen? Präsident Obama wird diese Melange hoffentlich nicht unterschätzen und rasch handeln, bevor es zum Flächenbrand kommt.

     

    Man fasst sich schon an den Kopf: Wie viele Jahre - insbesondere seit der Bush jun.-Zeit - wurde dem Rest der Welt der solidarische selbstlose und nächstenliebende US-Bürger als vorbildhaft gezeigt? Nun sieht man, wie nervlich zermürbte Menschen, die vor Kurzem noch von Börsenjunkies um ihre Alterssicherung gebracht wurden, sich nun auch noch von perfiden Interessengemeinschaften, die gar nicht die ihren sind, missbrauchen lassen.

     

    Nutzt denn nicht einmal eine Gegenüberstellung der derzeitigen Situation mit der, die geschaffen werden kann - und wenn man sie per Plakat an jeden verfügbaren Baum tackert und jemanden danebensetzt, der es zur Not vorliest und erklärt? Tröstet es, dass es das Internet gibt und die Regierung es zu nutzen versteht? Aber dann bitte jetzt und mit Vollgas - CO2-neutral, versteht sich!

  • R
    rot

    die pharmaindustire und die ärzte werden milliarden in die kampagne stecken und ihre söldner marschieren schon. das trauruige ist, dass jährlich tausende sterben nur weil die weiter verdienen wollen. das teuerste gesundheitssystem der welt hat ja nicht nur verlierer...

  • B
    Britt

    Tja, nicht umsonst sind bereits Clinton & Clinton an der Reformierung des US-Gesundheitssystems. Ich wünsche mir natürlich, dass Obama sich durchsetzt, habe aber offengestanden nicht viel Hoffnung. Leider war von Anfang an zu befürchten, dass viele von Obamas Plänen Schall und Rauch bleiben, weil sie in Amerika nicht durchzusetzen sind.

  • K
    Kommentator

    Übel:

     

    systematische hetze gegen alles, was kollektiv rational ergo sozial gerecht ist.

     

    da sieht man einen atomismus von menschen, die sich in weiten teilen einfach nur alle todfeindlich gesinnt sind: menschen, die nur aus ellenbogen und strategie bestehen.

     

    Behinderte Babies werden mit Lügen vernküpft instrumentalisiert, aus Bismarck wird Hitler und Sozialdemokratie meint Stalinismus.

     

    "Sozial Gerecht = Sozialismus = Stalinismus = Nationalsozialismus = Teufel" klackert es da in manchen durch Jobmentalität, Konsumerismus und mangelndem Niveau (Bildung, Medien) zerschrumpften Hirnen.

     

    Nicht, dass das bei uns nicht auch so ist, nur bei uns hält man (zum Glück) einfach seine Fresse und wählt halt die Falschen.

     

    Liebe "linke" und "rechte" Necons: Die ist kein Antiamerikanismus, es ist die Kritik der Symptome der Krankheit, die ihr "Totalität" oder "Fortschritt" nennt und in Reinform (USA) so geil findet.

     

     

    Freiheit statt Angst - Bürgerrechte und Teilhabe statt marktradikalem Terror!

  • E
    emma

    schnipp-schnapp schrieb:

     

    "(...)Auch hierzulande wird ja heftig daran gearbeitet, das intellektuelle Niveau auf den Hund zu bringen - was man hier ja tagtäglich sehen kann.

     

    Denn - ich bin mir sicher - irgendwo steckt da der Muslim dahinter - und ist die AOK nicht auch eine Form der Scharia?"

     

    du wirst dich bestimmt richtig amüsiert haben, deinen ironisch angedeuteten kommentar abzuschicken...

     

    was willst du denn mit deinem teil-ironisierten kommentar jetzt eigentlich (mal wieder) sagen?

     

    dass muslime jetzt die neuen und prototypischen sündenböcke seien, und heutzutage "den" juden von damals ablösen, wenn du hier schon ausdrücklich von "dem" muslim sprichst?

     

    aber so offen würdest du dich (noch nicht) äußern wollen, nicht wahr?!

     

    und der erste teil deines kommentars bestätigt (mal wieder) deine qualifikationen zum aufmerksamen und völlig ideologiefreien leser!

    (vorsicht: ernst gemeint, nein, vorsicht: ein bißchen ironie! na, was denn nun?)

     

     

    p.s. du bewegst dich ja mal ein bißchen außerhalb der taz-nah-ost kommentarwelt...

  • O
    Overlord62

    Mal davon abgesehen, dass es um beinharte wirtschaftliche Interessen geht, ist man als " alter " Europäer immer wieder überrascht, dass die Amis gefühlsmässig immer noch mit ihrem Planwagen an der Frontier längszuckeln.

    Da zog man sich auch Indianerpfeil und Backenzahn selbstständig aus dem gepeinigten Körper.

    Angesichts der komplizierten und teuren Gemengelage inm amerikanischen Gesundheitssystem sollte man davon ausgehen, in den USA lauter bewusst lebenden Menschen zu begegnen.

    Allein,die von Hotdogs und Burgern verfettete Wahrheit sieht anders aus.

    Die hält nur die Angst vor dem Sozialismus noch am leben.

  • S
    schnipp-schnapp

    Von Amerika lernen heisst siegen lernen.

     

    Nach einhundert Jahren voll-privatisierter Medien erscheint mir die Hsyterie der Amerikaner nicht als besonders verwunderlich.

     

    Auch hierzulande wird ja heftig daran gearbeitet, das intellektuelle Niveau auf den Hund zu bringen - was man hier ja tagtäglich sehen kann.

     

    Denn - ich bin mir sicher - irgendwo steckt da der Muslim dahinter - und ist die AOK nicht auch eine Form der Scharia?