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Archiv-Artikel

Gestrandet im Niemandsland

„Amid the Clouds“: Das „Polyzentral“-Festival auf Kampnagel wird mit einem elegischen Flüchtlings-Dialog eröffnet

Feine Fäden spannt der iranische Autor Amir Reza Koohestani durch die Welt. Filigrane Kommunikationsgebilde aus Begreifen und Missverstehen, die sich zu komplizierten Netzen verweben: Skizzen menschlichen Zusammenfindens, stetig changierend zwischen Rückzug und Offenbarung, sind so entstanden. Geschichten, die wirken, als umkreisten zwei hauchdünne Schmetterlinge einander: Große Kontroversen hatte sein Dance on Glasses im Jahr 2000 im Iran ausgelöst. Es war das dritte Stück des 27-Jährigen, dessen neue Produktion Amid the Clouds das am Mittwoch startende Festival „Polyzentral“ auf Kampnagel eröffnet.

Ein Paar, weit voneinander entfernt an einem Tisch sitzend, hatte im Zentrum von Dance on Glasses gestanden. Das Resultat: eine fast tänzerische verbale Performance, die Nähe und Ferne umkreist, ohne eine Lösung zu finden. Und wenn auch das aktuelle Stück zunächst politischer und flacher wirkt, ist dies doch nur die äußere Hülle, die so brav klischeehaft die gesamtgesellschaftlichen Probleme des Augenblicks zu spiegeln scheint.

Doch Koohestanis Gewebe ist feiner: Wie zwei Tangenten – von irgendwoher in den Kosmos gezogene Linien – kommen Mann und Frau aufeinander zu. Geflohen sind sie aus dem Iran, gestrandet in einem französischen Flüchtlingslager an der Kanalküste. In Monologen, die Rhythmus und Wortwahl alter persischer Erzähltraditionen wiederbeleben, üben sie langsam tastend Nähe und Ferne, wobei ihre Gemeinsamkeit so offensichtlich wie frappierend ist: Während die schwangere Zina den Vater ihres Kindes nicht benennen kann, hat Imour seinen eigenen Vater nie gesehen – und verliert sich fast im Versuch, die Fäden seiner privaten Vergangenheit zu entwirren.

Die Landschaft ihrer Heimat allerdings haben sie beide verloren – ein wichtiges, Identität stiftendes Element, dessen Verlust noch lange untergründig schmerzt. Und vielleicht ist es dieser Verlust, den sie mit dem archaisch schwingenden Sprachduktus kompensieren wollen, als wollten sie sich zumindest eines Heimat-Relikts vergewissern, das man konkret mitnehmen kann. Obwohl sich auch dies, sind sie erst dauerhaft in der Fremde angekommen, ins Innere der Exilierten verlagern wird, um dort – den verlorenen Bildern gleich – ganz sachte zu mumifizieren. Aber bis dahin ist es noch weit. Petra Schellen

Festival Polyzentral mit Ensembles aus der Türkei, dem Irak, der Mongolei, Turkmenistan, Usbekistan und Kasachstan sowie einem aus Vortrag und Film komponierten Begleitprogramm: 8.–25.3., Kampnagel. www.kampnagel.de